Trockenlegungen und Eindeichungen
Trockenlegungen und Eindeichungen – die Entstehung des modernen Médoc
Das Aussehen des heutigen Médoc, das viele Besucher für naturnah und urwüchsig halten, ist in Wirklichkeit das Ergebnis massiver menschlicher Anstrengungen. Dadurch ist die Oberfläche des nördlichen Médoc nachhaltig verändert worden und hat dabei die Gestalt erhalten, die uns heute geläufig ist. Die weitreichendste Veränderung in diesem von Menschenhand bewirkten Transformationsprozess hat sich dabei in den Gebieten ereignet, die zur Gironde hin orientiert sind. Das verdeutlicht gut die nachfolgende Karte:
Zit. nach : Cassou-Mounat Micheline. Une région du Bordelais dévastée par la guerre : le Bas-Médoc. In: Revue géographique des Pyrénées et du Sud-Ouest, tome 23, fascicule 3, 1952. p 164
Die auffälligsten Umgestaltungen haben sich dort ergeben, wo der Oberflächentyp 3 dargestellt ist, bei dem es sich um Sumpfgebiete handelt, die den größten Teil das Jahres unter Wasser standen und somit für eine landwirtschaftliche Nutzung weitgehend ausfielen. Daneben waren sie Brutstätten für allerlei Insekten, die Erkrankungen übertrugen, die die an die Sümpfe angrenzenden Gebiete zu Zonen machten, in denen die Menschen mit fiebrigen Erkrankungen zu kämpfen hatten, gegen die es wenig medizinische Hilfen gab. Aus diesen Sumpfgebieten ragten kleine Erhebungen heraus, auf denen Orte wie Talais, Jau oder Valeyrac lagen, von denen man sich heute kaum vorstellen kann, dass sie über lange Monate des Jahres Inseln waren.
Die Entstehung der heutigen überaus fruchtbaren Kulturlandschaft an der Gironde hat sich in zwei großen Schritten vollzogen. Zunächst wurden beginnend mit dem 17. Jahrhundert umfangreiche systematische Trockenlegungsarbeiten durchgeführt, die von Ingenieuren aus Holland, die dafür angeworben worden waren, geplant und geleitet wurden. Sie verfügten über das technische Wissen und die Fertigkeiten, die man brauchte, um ein recht engmaschiges Netz von Entwässerungsgräben und –kanälen anzulegen und sie wussten, wie man verhinderte, dass bei Flut das Wasser wieder zurückkam. Das Prinzip der selbsttätig öffnenden und schließenden Fluttore wird heute noch überall dort angewendet, wo Entwässerungskanäle in die Gironde münden.
Der Herzog von Épernon, seinerzeit Herr von Lesparre, schloss 1628 Pachtverträge mit Holländern ab, die vorsahen, dass 16320 Tagewerke der Sumpfgebiete, die an Lesparre grenzten, trocken gelegt werden sollten. Die Planung und Leitung der Arbeiten besorgten Holländer, die im großem Stile unter der Leitung holländischer Vorarbeiter einheimische Arbeitskräfte einsetzten, die viele Gräben, die anzulegen waren, in kräftezehrender Handarbeit ausführten. Die Holländer stützten sich dabei auf die in ihrer Heimat geläufigen technischen Kenntnissen für die Trockenlegung, die sich bei der Anlage der Polder entwickelt hatten. Da die im Médoc trockenzulegenden Flächen höher lagen als der Wasserstand der Gironde bei Ebbe, konnten die abzuführenden Wassermassen ohne Pumpwerke in die Gironde fließen, wenn an den Ausflussöffnungen Fluttore installiert wurden. Die damals angelegten Entwässerungsgräben in den ehemaligen Sumpfgebieten bei Lesparre, Queyrac, Saint-Vivien und Begadan zeigen bis heute, dass sie nach den Grundsätzen der in Holland bewährten Polderkonzeptionen ausgeführt worden sind.
Die Holländer brachten neben dem Werkzeug, das für die auszuführenden Arbeiten optimiert war, auch landwirtschaftliche Geräte und Vieh mit, so dass aus Holland eingeführte Kühe und Pferde wegen ihrer größeren Leistungsfähigkeit im Vergleich zu den im Médoc bekannten Rassen die Basis für das Großvieh abgaben.
Der Herzog von Épernon vergab die Gebiete, die er trockenlegen lassen wollte als Lehen, für die die Lehensnehmer die Trockenlegung in einem festgesetzten Zeitraum durchführen mussten. Zusätzlich hatten sie eine mäßige Art Pacht an den Herzog zu entrichten. Zu den Pflichten der Lehnsnehmer gehörte nach der Trockenlegung die Instandhaltung der Deiche, Kanäle und Schleusen.
Nach der Trockenlegung erwies es sich aber, dass die Instandhaltung des Entwässerungssystems nicht konsequent genug unternommen wurde, so dass die in der Anfangsphase erreichten Erfolge bei der Landgewinnung bald gefährdet waren. Daher wurden seit Anfang des 19. Jahrhunderts nach dem Modell von in den Niederlanden bestehenden Organisationen Strukturen geschaffen, die Pflege und Unterhalt der Trockenlegungsmaßnahmen effizienter werden ließen.
Der nächste Schritt der Landgewinnung vollzog sich erst im frühen 18. Jahrhundert, als man daran ging, die unmittelbar an die Gironde grenzenden mattes, die nur bei höheren Fluten überspült wurden, vor diesen periodisch wiederkehrenden Überflutungen zu schützen. Es reichte dazu, einen durchgehenden Deich an der Gironde zu errichten, wobei die Ausführung der Arbeiten eher ein organisatorisches Problem war. Die Initiative ging mancherorts von einzelnen Anliegern aus, andernorts setzten sich örtliche Geistliche ein oder der staatliche Intendant gab den entscheidenden Anstoß. Nach der ersten Eindeichung im Jahre 1739 dauerte es noch rund ein Jahrhundert, bis 1813 ein durchgehender Deich die mattes vor den Wassern der Gironde schützte. Die Deiche wurden als Gemeinschaftsleistung vornehmlich derjenigen ausgeführt, deren Grundbesitz an die neu zu gewinnenden mattes angrenzten. Zwischen 1739 und 1838, dem Jahr, in dem die Deicharbeiten abgeschlossen wurden, sind im nördlichen Médoc zwischen den Entwässerungskanälen von Goulée und des Conseiller 3600 ha Ackerfläche gewonnen. Worden. Die Parzellierung und Übertragung der Eigentumsrechte an den neu gewonnen landwirtschaftlichen Flächen erfolgte erst nach Abschluss der Eindeichungsarbeiten. Nach dem Eindeichen waren die neuen Flächen aber noch sehr von salz getränkt, was dem Getreideanbau, den man dort betreiben wollte, nicht zuträglich ist. Doch auch hier konnte man auf die Erfahrungen der Holländer zurückgreifen, die herausgefunden hatten, dass man die Entsalzung am besten dadurch voranbringt, dass man nichts tut, und das über zehn Jahre. In dieser Zeit wird das im Boden enthaltene Salz nach Niederschlägen an der Oberfläche abgelagert und von dort mit dem Oberflächenwasser in die Entwässerungskanäle gespült, wobei es jedoch wichtig ist, dass die zu entsalzenden Flächen nicht gepflügt werden, da dabei das salz in den Untergrund gelangen würde und den Boden dauerhaft und zum Nachteil der später dort anzubauenden Kulturpflanzen verschlechtern würde.
Nach Fertigstellung der Deiche wurde bald eine Organisation geschaffen, die sicherstellen sollte, dass die Deiche instand gehalten wurden. Diese Institution gab sich den Namen Syndicat des mattes du Bas-Médoc, unter dem sie auch heute noch firmiert. Sie hat sich durchaus bewährt und wird das wohl auch weiter tun. Die Notwendigkeit der Organisation zeigt sich immer wieder, wenn Teile der Deiche überspült wurden und das dahinter liegende Land unter Wasser geriet, wie dies in meist größeren Abständen bei extremen Flutlagen immer wieder geschah und den Anrainern deutlich machte, dass die Deiche nur dann ihre Aufgabe erfüllen, wenn sie regelmäßig gewartet und bei Bedarf repariert werden.
Die Spuren der systematischen Trockenlegung einst sumpfiger Gebiete im Médoc lassen sich noch heute auf Landkarten oder Luftbildern verfolgen.
Nördlich und östlich von Grayan zeigt eine große Zahl von meist kleineren Wasserläufen durch ihre regelmäßigen geometrischen Formen an, dass sie künstlich angelegt worden sind, um die davon durchzogenen Bereiche zu entwässern. Diese Karte ist um 1890 aufgenommen worden.
So sehen die mattes heute aus: Klick