Orkan: Augenzeugenberichte

Die drei folgenden Berichte sind im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Sturm entstanden. Sie werden so wiedergegeben, wie sie verfasst wurden, lediglich Namen wurden durch Anfangsbuchstaben ersetzt.

 

Axel Stottmeister: Der Jahrhundertsturm

Ruhig und gemütlich war’s am 27.12.99. Renate las, ich saß am Computer und schrieb an einem Bericht, als plötzlich der Strom gegen 17 Uhr ausfiel. Na ja, wird wohl bald wieder kommen. Aber vorsichtshalber mal die Kerzen bereitgelegt. Es wurde windig, dann stürmte es, das Barometer bekam einen heftigen Knick nach unten – Sturm / Orkan. Inzwischen war es dunkel geworden, der Sturm heulte, draußen prasselten Äste von den Bäumen, Kiefernzapfen schlugen auf das Dach, dann Knirschen, Reißen ein dumpfer Aufprall. Im Taschenlampenlicht war zu sehen, daß eine Baumkrone direkt vor unserer Haustüre lag. Die Bäume schwankten unter jedem Windstoß heftig hin und her. Wieder ein dumpfer Aufprall, doch diesmal wackelte das Haus, der Boden bebte. Schnell mit der Taschenlampe nach draußen geleuchtet – ein wie sich später herausstellte, ca. 80-jähriger Baum war gefallen, zum Glück nicht aufs Haus. Telefonisch hielten wir mit den Nachbarn Kontakt, schielten immer wieder auf unsere „Angstbäume“ (die aufs Haus fallen könnten). Dann kein Kontakt mehr zu Nachbarn mit Handy – Lichtsignale zeigte, alles o.k. Gegen 23 Uhr ließ der Orkan nach. Im Taschenlampenlicht sah es grausig aus. Gestürzte Bäume, abgeschlagene Kronen, Geäst wohin man sah. Renate wurde es richtig übel. Wir gingen schlafen. Später hörten wir dann von anderen Hauseigentümern, daß sie mit gepackten Taschen sprungbereit waren das Haus zu verlassen, oder daß sie sich in einem weniger gefährdeten Nachbarhaus untergestellt hatten.

Der nächste Morgen zeigte die ganze Verwüstung. Der Hauseingang war durch 3 abgebrochene Baumkronen versperrt, auf dem Dach unserer Garage lag ein Baum, 3 weitere Bäume auf dem Grundstück, mehrere Bäume schräg, z.T. gesplittert. Die Straße gesperrt durch 5 zum Teil übereinander liegende Bäume, abgebrochene Baukronen. Alle Nachbarhäuser hatten mindestens einen Baum schräg auf dem Haus. Jeder kam mehr oder weniger fassungslos über das Chaos aus seinem Haus, beschrieb seine Empfindungen, seine Ängste.

Was nun?? Erst einmal das Wichtigste – Straßen freimachen. Schon hörten wir die ersten Motorsägen kreischen. Zum Glück war meine auch betriebsbereit. Auf ging’s. Bis zum Abend war es wieder möglich aus unserer Straße mit dem Auto herauszukommen, wenn auch noch ein Baum eine „Unterführung“ darstellte. Inzwischen hatte Euronat alle Arbeiter in Teams eingeteilt und in jedem Dorf ein Team eingesetzt. 1. Ziel: freisägen der Hauptstraßen.

Mit Unterstützung vieler Eigentümer, die sich spontan in Arbeitsgruppen zusammengefunden hatten, waren bis zum Abend die Hauptstraßen passierbar. Aber wie hatte sich das Gelände Euronat verändert!! Nordamerika – kein Durchkommen, nahezu jedes Haus war mehr oder weniger stark beschädigt. Südamerika im vorderen Teil endlos geköpfte Bäume, beschädigte Dächer, umgefallene Bäume. Europa, kaum ein Durchkommen. Hier war es vor allen Dingen der sehr alte Baumbestand, der auf die Straße gekippt war und Häuser unter ihrer Baumkrone begraben hatte. Die Bäume im Zentrum: fast alle niedergelegt. Rechts und links der Straße vom Eingang zum Zentrum und weiter zum Strand: wie eine Schneise lag Baum an Baum am Boden.

So weit meine Batterien der Video Camera es mitmachten, filmte ich den Zustand; machte Fotos.

Wie sah es sonst aus? Wasser gab es kein’s mehr – wohl dem, der Wasser im Regenfaß aufgefangen zur Verfügung hatte (Spülung für die Toilette). Wasser zum Kochen, Waschen: wohl dem, der vorher Wasser in Flaschen gekauft hatte – jetzt gab es nichts mehr.

Der Spar Laden im Zentrum verkaufte alles, was er hatte. Aber klar: Mangelware waren Wasser, Brot, Taschenlampenbatterien, Kerzen. Der Bäcker in Vendays hatte Brot – Notstromaggregat.

Die nächsten Tage standen bei uns im Zeichen des Aufräumens. Weiter Bäume von der Straße wegräumen, Äste von den abgebrochenen Baumkronen sägen, wegschaffen, Baumreste fällen, schräg stehende Bäume fällen. Alles gemeinsam in Nachbarschaftshilfe (auf 7 Grundstücken mußten ca. 46 Bäume entfernt werden). Und wie wir gesehen haben, funktionierte diese Nachbarschaftshilfe auch in anderen Straßen / Gebieten. Überall hat man sich zusammengetan und gemeinsam Bäume / Äste beseitigt und am Straßenrand aufgehäuft. Das Telefon stand nicht mehr still: unsere Tel-Nummer hat sich durchgesprochen. Renate fuhr immer wieder los, um festzustellen ob und welche Schäden bei den Häusern der Anrufer vorlagen. Übrigens Schäden am Haus müssen der Versicherung innerhalb von 5 Tagen nach Schadensereignis gemeldet werden, sonst werden sie nicht anerkannt (in diesem Falle hat Frankreichs Präsident – nur er ist dafür Entscheidungs befugt – die Frist bis zum 31.01.00 verlängert).

Euronat ist ebenfalls nicht untätig, man kann sagen: extrem schnell. Mit Baggern, Schaufelradladern, LKW und Kettensägespezialisten wurden bis Sylvester alle Nebenstraßen „freigelegt“, die meisten Häuser von ihrer Baumlast befreit. Natürlich wurde dabei auch so mancher vom Besitzer liebevoll angepflanzter und gepflegter Busch und Strauch „überrollt“. Schäden wurden aufgenommen. Und wie wir feststellen konnten, war ihr Telefon und Fax permanent durch Anrufer belegt. Wer das Chaos gesehen hat, dem ist klar, daß nicht immer alles sofort erledigt werden konnte.

Wie sah es „draußen“ aus? Am ersten Tag nach dem Sturm war ein Durchkommen nach St. Vivien nur per Fahrrad mit Umrundung der auf der Straße liegenden Bäume möglich – Wolfram machte den Versuch, um in St. Vivien eine Kettensäge zu kaufen und brauchte hierfür 4 Std. Ein paar Tage später waren die meisten Straßen – zumindest 1-spurig – wieder befahrbar. Aber in allen Wäldern Unmengen geköpfter und umgefallener Bäume, verheerend. Bei Überlandstromleitungen halbierte, gebrochene, umgefallene Betonmasten. Stromkabel auf der Straße, Bäume auf den Leitungen. Die Banken geschlossen, Geldautomaten außer Betrieb – schlecht für alle, die Geld brauchten, Schecks wurden in den Geschäften, die über Notstromaggregate einen Betrieb aufnahmen, akzeptiert, Kreditkarten nicht. In Montalivet hatte die Tankstelle Hochbetrieb – Notstromaggregat. In den Dörfern hielt sich die Zerstörung in Grenzen, abgedeckte Dächer, umgefallene, geköpfte Bäume.

Als wir diese Zerstörung rundum sahen, glaubten wir der Aussage nicht, daß Strom und Wasser wieder in einer Woche da sein würde

Nach Sylvester „normalisierte“ sich die Lage insofern, als Wasser zeitweise aber langsam laufend wieder zur Verfügung stand, Supermärkte einen Notbetrieb eröffneten, Brot und Lebensmittel wieder gekauft werden konnten. Toll war unsere „Arbeitsgemeinschaft“. Jeder half jedem. Ziegel wurden wieder aufgedeckt, Sparren ausgebessert, Planen auf beschädigte Dächer befestigt, umgestürzte Bäume zersägt, gesplitterte, schräg stehende und gefährliche gefällt. Mittags oder abends gemeinsames kochen, essen und Zusammensitzen und klönen bei Kerzenschein.

Ab der 2. Jan. Woche hatten wir mehr „Luft“. Inzwischen waren viele Eigentümer gekommen und hatten ihrerseits angefaßt und tatkräftig Schäden am Haus notdürftig ausgebessert bzw. mit Planen abgedeckt, Bäume, Äste weggeschafft. Euronat begann vom Eingangsbereich her, alle umgefallenen Bäume abzutransportieren, Wurzeln zu entfernen – der Wald ist lichter geworden!!

Die Verwaltung Euronat hat sich zum Ziel gesetzt alle Schäden bis zum Sommer zu beseitigen, um den Urlaubern ein unversehrtes Euronat zu präsentieren. Das sollten wir mit allen Kräften unterstützen, denn nicht nur wir möchten wieder das uns bekannte, geliebtes Urlaubsdomizil so schnell wie möglich im „alten“ Zustand, sondern wir alle möchten auch, daß sich die vielen Urlauber wohl fühlen. Und nur dann, wenn sich die Urlauber wohl fühlen, werden sie auch weiterhin nach Euronat kommen und unsere Studios, Häuser mieten. Auf Grund der Presseberichte ist die Region im Moment als Katastrophengebiet bekannt. Wir müssen aktiv anfassen, Schäden beseitigen, Euronat unterstützen und positiv argumentieren. „Es ist lichter geworden im Wald – im Grunde genommen war eine Auslichtung des alten Baumbestandes – mit anschließender Aufforstung – schon lange fällig.“ So allerdings von niemandem gewünscht.

Schade finde ich, daß Herr Lorefice in seinem Brief nur so knapp auf das Geschehen eingegangen ist. Natürlich ist es Aufgabe von Euronat, das Gelände so schnell wie möglich wieder in einen ordentlichen Zustand zu versetzen – was sie auch mit großer Vehemenz tun. Aber auch viele Eigentümer, zum Teil extra angereist, haben hier mit großem Einsatz – viel in Gemeinschaftsarbeit – mitgeholfen. So wie ich es gesehen habe, hat Euronat sich sehr bemüht die Häuser vor größeren Schäden zu schützen. So gingen sie nach der „Straßenräumaktion“ daran die Bäume von den Dächern zu räumen und dann deckten sie beschädigte Dächer mit Planen ab. Daß dies nur Zug um Zug gehen konnte, leuchtet jedem ein, der das Ausmaß gesehen hat. Jetzt beseitigen sie die Sturmschäden – erst entlang der Hauptstraßen, dann Nebenstraßen, dann …. Bravo.

 

Seit 13.01. gibt es wieder Strom. Es ist noch viel bis zum Sommer zu tun, drum packen wir es an. Helfen wir selber mit. Übrigens, vom Strandwächterhaus des Hauptstrandes ist es nur mehr ein kleiner Schritt bis ins Wasser (nur die Düne herunter).

 

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Horst Banze: Weihnachts- oder auch Katastrophenurlaub

 

Endlich war es wieder soweit – ab nach EURONAT – wir freuten uns auf faulenzen, lesen, Spaziergänge und auf alles, was Spaß macht.

Aber es kam ganz anders. Schon die Hinfahrt war furchtbar – Orkan und sintflutartige Regenfälle in und um Paris, gesperrte Autobahnen vor Orléans wegen zusammengeknickter Hochspannungsmasten – unser Auto wurde durch umherfliegende Baustellen-PVC-Hüte beschädigt.

Konnte es da noch eine Steigerung geben? Es konnte, unglaublich aber wahr:

 

Am 27.12.99 regnete und windete es den ganzen Tag, Strom fiel immer ´mal wieder aus – aber das kennen wir ja und haben uns daher auch keine besonderen Gedanken gemacht.

Gegen 17.00 Uhr ging es dann aber richtig los. Strom fiel gänzlich aus, der Wind steigerte sich zum Orkan mit bis zu 260 km/h !!! Die Pinien knickten um wie Streichhölzer, riesige Baumkronen wurden oft erst viele Meter durch die Luft getrieben, bis diese dann herabstürzten. Wir kauerten in unserem Haus, haben gebetet, daß uns nichts passiert und alles schnell vorbeigeht.

Gegen Mitternacht flaute der Orkan mehr und mehr ab. Wir hatten aber noch keinen Mut, vor die Tür zu gehen, weil nach wie vor Bäume, Kronen und Äste in lebensbedrohender Weise herabstürzten. Am nächsten Morgen lachte die Sonne vom wolkenlosen, blauen Himmel, als wenn nichts gewesen sei. Wir standen fassungslos vor dem Scherbenhaufen, den diese ungebändigten Urgewalten in nur ein paar Stunden angerichtet hatten – wo war der schöne Wald geblieben?

Gott sei Dank sind Menschen in EURONAT nicht zu Schaden gekommen, aber der “.Orkan des Jahrhunderts “ hat ca. 50 % des alten Baumbestandes vernichtet und ungefähr 400 Häuser mehr oder weniger beschädigt.

 

Das waren also unsere ersten zwei Urlaubstage. Gedanken, sofort wieder nach Hause zu fahren, kamen uns nicht. Aufräumen war angesagt, Sägen, Häuser und Dächer zumindest provisorisch flicken.

Der Strom fiel weiterhin total aus – letztlich bis Mitte Januar 2000.

Anfänglich gab es daher nichts, was irgendwie mit Strom zu tun hatte: keine Lebensmittel, kein Benzin , kein Geld ( Geschäfte, Banken, Tankstellen etc. geschlossen),– kein warmes Wasser etc. etc.

Naturburschen wie wir haben daher kalt geduscht, Haare gewaschen, Zähne geputzt und auf dem Kamin gekocht – es geht alles, wenn es sein muß.

Gott sei Dank funktionierte der Kamin, wir hatten es immer schön mollig warm, und morgens und abends wurden Dutzende von Kerzen und eine alte Stalllaterne aufgestellt. Silvester haben wir bei uns mit guten Freunden gefeiert – bei Kerzenschein mit Chips, Käse, Salaten und Musik aus dem batteriebetriebenen Radio.

 

Bis zum o7.o1.2000 haben wir durchgehalten – dann mußten wir wieder nach Hause fahren.

 

Wir freuen uns schon jetzt wieder auf Ostern 2000 und sind sehr gespannt, wie es dann wohl aussieht.

 

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Ulla Marwedel: Brief

Liebe G., lieber R., hier eine Beschreibung des „Erlebnisses“ vom letzten Montag aus meiner natürlich subjektiven Sicht, die aber von Ulli geteilt wird. Ich  übersende an einige Interessierte einfach den Bericht, den ich an meine Schwester in Washington  geschickt habe: 

Wir fuhren also  am 2. Weihnachtstag morgens um 4 Uhr aus Münster ab, durchquerten Belgien und erlebten  schon dort sturmgepeitschte Regengüsse, die sogar unser schweres Auto zum  Schwanken brachten. In Paris lagen Bäume flach, Oberleitungen quer über und  Strassenschilder und Vorwegweiser auf der Autobahn, es gab Staus, aber so ganz  ernst haben wir diesen Sturm, der da über uns hinwegfegte, nicht genommen.  Vielleicht spürt man das im Auto auch nicht so sehr.

Als wir am Euronat  ankamen, richteten wir uns fröhlich ein und freuten uns auf zwei unbeschwerte  Wochen.  Am nächsten Tag regnete es in Strömen, ich habe den Morgen genüsslich mit  Lesen verbracht und am Nachmittag sind Ulli und ich über Montalivet nach Lesparre zum Einkaufen  gefahren.

Wir hielten uns etwa eine Dreiviertelstunde lang im Einkaufszentrum  auf, und als wir wieder herauskamen, hatte ich das Gefühl einer Wetterbesserung,  es hatte aufgehört zu regnen und ein starker Wind jagte die Wolken weg. Auf dem Weg nach Grayan sahen wir auf der Strasse Äste und viele  Kiefernzweige liegen. Wir fuhren dieselbe Strecke wie am Abend unserer Ankunft   und ich fand es seltsam, dass wir sie am Abend zuvor nicht gesehen hatten und  dass sie immer noch dort lagen. Je näher wir zum Camp kamen, um so windiger  wurde es. Im Camp war es dann sehr  stürmisch, aber wir waren ja schliesslich nah am Meer. Ich habe noch eine  Tasche mit Lebensmitteln bei B. vor die Tür gestellt; angeklopft habe ich  nicht, da alles dunkel war. Später stellte sich heraus, dass es im Camp zu  diesem Zeitpunkt schon seit 1 Stunde keinen Strom mehr gab.

5 Minuten später  krachte neben unserem Haus der erste Baum zu Boden, eine, wie sich am nächsten  Tag herausstellte, ungefähr 20 m hohe stabile Kiefer mit einem Durchmesser von  etwa 60 cm. Ulli lief nach draussen, um zu sehen, was zu machen sei, da krachte  an der anderen Hausseite, parallel zu unserem carport, die schwere Krone eines  Baumes, der wie ein Streichholz durchgebrochen war, zu Boden. Ein Ast  durchschlug das carport Dach, ansonsten hatten wir Glück gehabt. Jenseits  unseres „Gartens“ standen noch weitere 4 hohe, dicke Bäume mit mächtigen, im  Sommer Schatten spendenden Kronen und etwa 10 dünne, mickrige Bäume. Die  dicken, stabilen gibt es nicht mehr, zwei wurden mit Wurzelballen aus dem  Erdreich gehoben, die anderen beiden stehen als traurige abgebrochene Bleistifte  in der Gegend, die Kronen lagen später direkt vor unserer Terrasse.

Wieder hatten wir  Glück, dass gerade die am nächsten zur Terrasse stehenden Bäume nicht  insgesamt umfielen, sie hätten ansonsten das Haus getroffen. Weil wir  das befürchten mussten, verliessen Ulli und ich fluchtartig das Haus und stellten uns in den Windschatten hinter ein benachbartes Haus, wo keine Bäume  auf uns stürzen konnten. Dort standen wir etwa 90 Minuten, der Orkan fegte mit  ungebremster Wucht über uns hinweg und wir sahen und hörten mit den Hauptböen  einen Baum nach dem anderen brechen und / oder fallen. Es war schrecklich, mich  überkam nach anfänglicher Unruhe ein Gefühl stoischer Ruhe, ich spürte  eigentlich nichts. Filou stand unbeeindruckt neben uns, Gott sei Dank zerrte er  nicht an der Leine und machte kein Theater. Inzwischen war es dunkel. Mit einer  solch langen Sturmzeit hatten wir nicht gerechnet. Es fing an zu regnen und Ulli  schlug vor, ins Haus zu laufen. Davor hatte ich Angst, weil zu dem Zeitpunkt  noch zwei der dicksten und längsten Bäume in unserem Garten standen, der Sturm  aber so an ihren Kronen zerrte, dass es nur eine Frage der Zeit war, wann sie  stürzen müssten.

Vor einem der Louisiana-Häuser an der Av. de Californie sah  ich immer wieder Taschenlampen aufleuchten. Wir konnten erkennen, dass die  Bäume, die uns von dort zur Gefahr hätten werden können, inzwischen gefallen  waren. Wir rannten also durch den brüllenden Sturm zu diesem Haus, ich fiel  über einen dort liegenden Baum, konnte Ulli und den Hund nicht mehr sehen,  hören konnte man sowieso bei dem Lärm des Orkans und der Brandung nichts, ich  habe an ein erleuchtetes Fenster geklopft, die Tür wurde aufgemacht  und ich habe die Leute um Obdach für uns und unseren Hund gebeten. Diese  Menschen waren sehr nett und nahmen uns gern auf. Ich fühlte mich wie in einer  Traumwelt. Da sassen 8 Leute um einen grossen Tisch herum, Weingläser vor sich,  ein Kerzenleuchter war mit vielen Kerzen bestückt und verbreitete heimelige  Atmosphäre. Mit so vielen Menschen und in einem Steinhaus fühlte ich mich  ziemlich sicher. Nach einiger Zeit ging es mir so gut, dass ich sogar den Luxus  der Einrichtung dieses „Ferienhauses“ wahrnahm. Man unterhielt sich wie bei einem netten Abendbesuch, bewahrte   contenance, aber bei jedem Krachen, das wieder  verriet, dass ein Baum gefallen war oder dass eine Terrassenüberdachung sich auf  und davon machte, spürte man die Hilflosigkeit  gegenüber den Kräften der Natur. Immer wieder schoss Ulli und mir die Frage durch den  Kopf, wo W. und W. H. wohl waren und wie es ihnen ging. Ein Gang zu ihnen  hätte Lebensgefahr bedeutet. Das handy funktionierte nicht mehr – was für den  Rest unseres Aufenthaltes so bleiben sollte. Gegen 10 Uhr hatten wir dann den  Eindruck, dass die Pausen zwischen den ganz starken Böen etwas grösser wurden.  Ulli wagte sich nach draussen und dann auch nach Hause um Taschenlampen zu  holen.

Als wir auf unserem Grundstück ankamen, lag der Garten bis an den  Terrassenrand voll mit Kiefern und / oder deren Kronen. Kein Baum hatte unser  Haus wirklich getroffen. Es schien unbegreiflich. Erleichterung! Aber immer noch  kamen heftige Böen, Ulli versuchte zu Hornungs durchzukommen, die wir ja  zuletzt in Lesparre gesehen hatten, aber es ging nicht, da auf dem Weg dorthin  mehrere Bäume lagen. Wir sind dann irgendwann ins Bett gegangen, ich hatte  immer noch ziemliche Angst davor, der Sturm könnte wieder stärker werden, aber  die Bäume um uns herum waren bis auf zwei eh nicht mehr da. Nach unruhigem  Schlaf erwartete uns dann am Morgen ein Schreckensbild. Auf den Dächern um uns  herum lagen Bäume, die Strasse war von Baumstämmen versperrt, überall sah man  die traurigen abgeknickten Stämme aufragen, ein fürchterlicher Anblick.

Und  dann kamen W. und W., sie hatten am Abend ihr Haus gar nicht mehr  erreichen können, da die Strassen bei ihrer Heimkehr schon von gefallenen  Bäumen versperrt waren. Sie waren nach einer ziemlichen Irrfahrt (2 Stunden von  Lesparre bis zum Euronat) zum Hauptstrand gefahren, da die Gefahr, dort von  einem Baum getroffen zu werden, ihnen am geringsten erschien. Nachdem der Sturm  dann das Nummernschild ihres Autos abgerissen und es gegen die Rückscheibe  geschleudert hatte, was ihr sofortiges Zerbersten zur Folge hatte, entschlossen  sie sich, sich zu Fuss auf den Weg zu ihrem Haus zu machen. Sie hatten gehofft,  auf dem breiten Hauptweg und am pare-feu vor herunterstürzenden Bäumen sicher  zu sein, was sich für den Hauptweg auch als richtig erwies. Auf den pare-feu  dagegen, der ja eine ordentliche Breite hat, waren inzwischen viele Bäume  gestürzt und es muss schwierig und sehr gefährlich gewesen sein, sich ohne  Taschenlampe und bei dem immer noch tosenden Sturm vorwärtszuarbeiten. W.  sagte: „Wir gingen ganz dicht nebeneinander, ich hatte Todesangst und mein  einziger Gedanke war, wenn jetzt ein Baum auf uns fällt, dann trifft es uns  beide.“ Sie erreichten ihr Haus, das als eins der ganz wenigen in der Av. de  F. unbeschädigt geblieben war.

Auch B. waren in ihrem Haus relativ  unbehelligt geblieben. I. hatte die Nacht mit Notköfferchen auf einer  Isomatte zugebracht. Als wir uns dann morgens weiter umsahen, kannte unsere  Betroffenheit  keine Grenzen. Viele Häuser waren beschädigt, überall ragten  die Stammenden trostlos in den Himmel, aber kaum eins der Häuser war so  beschädigt, dass es die Menschen darin ernsthaft gefährdet hatte. Die  Holzhäuser sind also stabiler als wir angenommen hatten. Aber das hatten wir  vor dem Sturm ja nicht gewusst.

Rund um B. und H.M. Haus in Afrique waren die  Bäume ebenfalls gefallen und einer war auf den Anbau gestürzt und hatte  mehrere Löcher ins Dach gerissen. Als wir dort ankamen, waren Nachbarn dabei,  eine provisorische Reparatur vorzunehmen. Im Radio (mit Batterien) hörten wir  später, dass 4 Millionen Haushalte in ganz Frankreich von dieser dritten  Katastrophe nach dem Untergang des Öltankers und dem Sturm um Paris vom Tag  zuvor beeinträchtigt waren: es gab keinen Strom (was bei uns bis zu unserer  Abreise bleiben sollte), kein Wasser, die Strassen waren zum grossen Teil nicht  passierbar, in Bordeaux hatte die Sturmflut, die das Wasser der Gironde staute  eine Überschwemmung zur Folge.

Die aus dem Ausfall der Stromversorgung  resultierenden weiteren Folgen wurden uns erst allmählich klar: kein Licht,  keine Heizung, kein warmes Essen für viele; kein Benzin, da die Pumpen  elektrisch arbeiten, also auch keine Möglichkeit der überhasteten Abfahrt, da  man auch jenseits der Gironde nicht mit Benzin für die Weiterfahrt rechnen  konnte; die Kassen in den Läden arbeiteten nicht, Kopfrechnen war wieder  gefragt; die Banken waren und blieben geschlossen, Geldautomaten waren nicht  betriebsbereit, also hatte man kein Bargeld im bargeldlosen Frankreich, um z.B.  Lebensmittel, Kerzen und Gaslampen und -kocher zu kaufen; Schecks als  Zahlungsmittel waren okay, nur – wer bezahlt ein Brot mit einem Scheck?; die  Versorgung mit Lebensmitteln für so viele Menschen gestaltete sich durch den  Zustand der Strassen schwierig; Kerzen, Gaslampen und -kocher waren schnell  ausverkauft; alle zum Verkauf stehenden Lebensmittel, vor allem Brot und Wasser,  wurden gehamstert, also waren diese Dinge schnell wieder aus den Regalen  verschwunden. Bäcker schmissen ihre alten Öfen wieder an, wer hatte, heizte  mit Kamin oder Ofen, so wie wir.

Dabei zeigte es sich, dass wir intuitiv mit unserem Ofen die optimale Wahl getroffen hatten: auf der Platte kann  man bei grossem Feuer hervorragend kochen und brutzeln: das vor der  Katastrophe gekaufte Fleisch (Entenbrust und Bratwurst) wurde gebraten, Gemüse aus I. und H.s Tiefkühltruhe  wurde gekocht und es gab jeden Abend ein warmes Gericht für H.s, B.s  und uns. Wir mussten keinen Gebrauch von der von Euronat dankenswerterweise  eingerichteten Suppenversorgung machen.

Ulli und W., die sich am Dienstag auf verschlungenen Pfaden (wg gesperrter Strassen) auf den Weg nach Lesparre  machten, um in erster Linie die Möglichkeiten zu erkunden, eine Heckscheibe  für H.s Auto zu besorgen, (was leider erfolglos blieb) kamen mit einigen  Flaschen Wasser, vielen Broten zurück. Auch eine  Telefonkarte hatten sie ergattert und wir waren überglücklich, dass wir unsere  Familien darüber informieren konnten, dass wir okay waren. Das Telefonnetz  stand und blieb auch intakt, obwohl per Radio verkündet wurde, es sei nur eine  Frage der Zeit bis zum Zusammenbruch auch dieses Netzes. Das hätte in unserer  Abgeschiedenheit den Verlust des Kontaktes mit der Aussenwelt bedeutet. Zum  Glück blieb uns dies erspart.

Nach der ersten Erstarrung setzte im Camp eine ziemliche Geschäftigkeit ein.  Die Hauptstrassen wurden von Bäumen befreit und am Mittwoch konnten die meisten  Bewohner ihre Häuser mit dem Auto wieder erreichen oder das Camp verlasen.  Für W. war das ja am Tag zuvor schon möglich gewesen, weil das beschädigte  Auto noch am Strand stand und die Hauptachse mit einiger Mühe zu befahren war. Nachdem man die Schäden genauer betrachtet hatte, konnte man zu dem Schluss  kommen, dass die meisten Häuser in unserer Nähe eher wenig beschädigt waren, in der Av. de  Floride die meisten stärker, in den anderen Erdteilen gab es ebenfalls Gebiete,  in denen der Sturm unterschiedlich heftig gewütet hatte. Soweit wir es  herausfanden, waren Menschen aus dem Camp nicht körperlich zu Schaden gekommen,  wenn man davon absieht, dass einige, die zur Zeit des heftigsten Sturms mit dem  Auto unterwegs waren, das Camp nicht mehr erreichen konnten und bis zu 13  Stunden über die Strassen des Medoc irrten. Als für uns feststand, dass eine  schnelle Abreise übereilt gewesen wäre und womöglich nur dazu geführt  hätte, dass man einige hundert Kilometer weiter festgesessen hätte, wurde dann  bei Sonnenschein mit den Aufräumarbeiten begonnen: zwei Tage lang hörte man  überall im Camp Motor- und Handsägen, um Bäume  und Äste zu schneiden, die an den Strassenrändern zu hohen Wällen aufgetürmt  wurden und die nun auf den Abtransport warten; ein freundlicher Franzose aus  unserer Nachbarschaft lieh Ulli eine Motorsäge und so konnte er wenigstens  einen Teil der Stämme in unserem Garten kräfteschonender zerkleinern –   ;es wurde geklopft und gehämmert, um Löcher in den Dächern  zu flicken und Dachziegel neu zu verlegen.

W. und Ulli reparierten  das Dach von N.s und W.s Haus, bei K.s war nur der Holzschuppen  abgedeckt und konnte mangels Materials auch nicht geflickt werden, und  schliesslich stieg Ulli noch auf M.s Dach, um dort Notreparaturen  vorzunehmen. Die Nachbarn, die nicht am Euronat waren, wurden nach dem Kauf  einer weiteren Telefonkarte informiert und beruhigt. (Als wir während  der Rückfahrt hinter Bordeaux wieder Anschluss ans Mobilfunknetz  hatten, war unsere Mailbox voll mit besorgten Anfragen nach unserem  Befinden und, sofern es sich um daheimgebliebene Hausbesitzer in Euronat handelte, dem Zustand des jeweiligen Hauses.)

Nebenher lief das häusliche  Leben mit Variationen: wichtiges Augenmerk galt dem jeweilig herrschenden  Wasserdruck von gar nicht bis ziemlich gut am 1. Januar. Töpfe wurden mit  dünnem Wasserstrahl gefüllt und zum Wärmen auf die Öfen gestellt; geduscht  wurde mit lauwarmem Wasserstrahl aus der Giesskanne – aber auch nur an  Silvester. Das Wasser für die Klospülung wurde Regenwassertonnen bei  M.s entnommen. (Wir bedanken uns für diese Gabe) Ja – und bis Silvester  hatte man sich an vieles gewöhnt und  Lösungen für ein verhältnismässig einfaches Leben gefunden. Wenn nur das  Wetter gehalten hätte, aber die Nässe zusätzlich zu den Aussichten auf  „Strom in frühestens 2 Wochen“ war dann doch nicht dazu angetan, unseren  Aufenthalt über die nötigen Aufräum- und Reparaturarbeiten hinaus zu  verlängern und wir beschlossen, nachdem wir am Intermarché in Soulac uns in die  lange Schlange der Wartenden eingereiht und dann auch zufriedenstellend unseren  Autotank gefüllt hatten, am 1. Januar nach Hause zu fahren.

Das Programm für  Silvester musste auch geändert werden: an Stelle des Galadiners im Hotel  de la Plage in L’Amelie, das natürlich abgesagt werden musste, gab es bei uns ein köstliches  Abendessen für 4 Personen: Melone mit Schinken (2 Sorten), Huhn (fertig gekocht  gekauft in Soulac, das übrigens bis zu einem halben Meter hoch im Sand steckte  aus Mangel an vorgelagertem Wald), Ratatouille (auf dem heimischen Ofen  hergestellt) und zum Schluss ein Käsegang. Danach gingen wir im Regen spazieren  und beendeten das alte Jahrtausend in grösserer Runde bei B.s. Am nächsten  Morgen fuhren wir gegen 10 Uhr mit Wehmut und Dankbarkeit im Herzen ab und wir  hoffen, dass wir die Gewalt der Natur nie wieder auf diese eindrucksvolle Art spüren müssen.  Wir freuen uns schon auf die Osterferien.

Liebe Grüsse von Ulla und Ulli 

 

(Wortlaut unverändert, Formatierung angepasst, Namen durch Anfangsbuchstaben ersetzt)