Kaviar und Störe

 

Kaviar aus der Gironde

Auch dieses Kapitel der Geschichte der Girondemündung und ihrer beiden Ufer gehört der Vergangenheit an, vielleicht noch nicht ganz endgültig, aber es spricht nicht viel dafür, dass die Zeiten wiederkehren, in denen die weiblichen Störe heutzutage unvorstellbar große Mengen von Kaviar geliefert haben und in denen die heute etwas verschlafenen  kleinen Häfen von Meschers, Talmont, Saint-Seurin-d’Uzet, Mortagne und Port-Maubert in Saint-Fort-sur-Gironde Orte waren, in denen die Fischer für ein paar Jahrzehnte richtig wohlhabend waren.

Der Europäische Stör (Acipenser sturio), der einst in der Gironde ein Massenfisch war, gehört zu einer uralten Knochenfischart, die sich unter anderem durch eine asymmetrische Schwanzflosse von ihren modernen Verwandten unterscheidet. Störe können mehr als  3 Meter lang werden und ein Gewicht von mehr als 300 kg erreichen. Die Weibchen legen bis zu 2,5 Millionen kleine schwarze Eier, aus denen nach wenigen Tagen die jungen Störe schlüpfen. 1925 wurde ein Weibchen gefangen, das 490 kg wog und das 70 kg Kaviar lieferte.

Für die Fischer in der Gironde waren in früheren Zeiten Störe eher ein Beifang ohne besonderen Wert,  denn man wußte nicht, was man mit den Eiern der weiblichern Tiere anfangen konnte, die  meist nur als Geflügelfutter verwendet wurden. Erst als ein deutscher Geschäftsmann aus Hamburg erfuhr, was mit den Störeiern geschah, änderte sich das allmählich. So richtig in Fahrt kam die Kaviarproduktion erst nach dem Ersten Weltkrieg, als Russen, die nach der bolschewistischen Revolution emigriert waren, den Fischern der Gironde zeigten, wie aus den kleinen schwarzen Störeiern Kaviar zu machen war. Der Vorgang selbst wird in verschiedenen Varianten erzählt. Manche behaupten gar, eine russische Prinzessin, die mit der Zarenfamilie verwandt gewesen sei, habe das Wissen um die Kaviarherstellung an die Gironde gebracht. Als sie abgereist war, habe man bemerkt, dass sie ihren Regenschirm vergessen hatte, der dann aufbewahrt wurde für den Fall, dass die Dame zurückkommen würde, was sie aber nicht tat. Wahrscheinlich ist diese Version nicht, denn zu den Angewohnheiten der vorrevolutionären Oberschicht in Rußland gehörte es nicht, über berufliche Kenntnisse zu verfügen, mit denen man seinen Lebensunterhalt verdienen konnte.

Prosaischer und näher an der historischen Wahrheit ist die Version, dass ein französischer Delikatessenlieferant, der bis zum Ersten Weltkrieg viel Geld mit russischem Kaviar verdient hatte, nach dem Ende des Krieges, als seine Kaviarlieferanten in Russland ausgefallen waren,  einen emigrierten russischen Offizier aufgetan hatte, den er an die Gironde schickte, um die dortigen Fischer in die Geheimnisse der Kaviarproduktion einzuweihen.

Die Herstellung des Kaviars ist ein mehrstufiger Prozess, der Umsicht und Sachkenntnis verlangt. Nach dem Fang wurden die Eier aus den gefangenen Weibchen herausgelöst, dann wurde die Membran, die das Gelege umhüllte, entfernt und die Eier in einem Sieb aufgefangen. Anschließend wurden sie behutsam gesalzen, dann ließ man sie abtropfen und verpackte sie in Konservendosen, in denen sie gekühlt an ihre Empfänger verschickt wurden.

Unbestritten ist jedoch, dass in Saint-Seurin d’Uzet ein Zentrum der Kaviarerzeugung entstand, das schon wenig später als die französische Kaviar-Hauptstadt bezeichnet wurde. Bald wurden große Mengen von Stören aus der Gironde geholt und verarbeitet. Sie  wurden in Netzen gefangen und danach mit einem Seil hinten an den flachen Booten befestigt, weil man nicht riskieren wollte, dass die mitunter großen und gewichtigen Fische, die kleinen Boote kentern ließen. Die Häfen, in denen sich Betriebe der Kaviarproduktion ansiedelten, erlebten neben dem Höhenflug der Fischerei auch einen Aufschwung des Fremdenverkehrs, der vor allem gut betuchte Gäste anzog.

Die Fischer genossen eine unerwartete Phase des Wohlstandes, mit dem sie allerdings nicht gerade pfleglich umgingen. Zwar wurden schon 1923 durch Dekrete die Größe der Fische, die gefangen werden durften, festgelegt und die Maschengröße der Fischernetze vorgeschrieben, aber ein wirklicher Schutz vor der Überbeanspruchung der plötzlich kostbar gewordenen Bestände ging damit nicht einher. Manche Fischer brüsteten sich damit, dass sie hundert und mehr Störe an einem Tag gefangen hatten. Die Folgen dieser massiven Attacken auf die Störbestände zeigten sich schon bald, doch gab es durch die erzwungene Fangpause  während des Zweiten Weltkrieges eine kurze Erholungsphase für die Störpopulation in der Gironde. In den fünfziger Jahren wurden, ähnlich wie vor dem Krieg, zwischen Bourg und Meschers jährlich zwischen 1300 und 1500 Störe gefangen. 1955 wurden 1.200 kg Kavair erzeugt und vermarktet. Die guten Verdienstmöglichkeiten zogen immer mehr Fischer an, die in der Fangzeit zwischen dem Frühjahr und den ersten Sommermonaten den Stören nachsetzten. Das hatte für die Bestände verheerende Folgen, denn schon in den sechziger Jahren ging die Zahl gefangenen Störe auf wenige hundert pro Jahr zurück. 1979 wurden nur noch drei Störe gefangen.

Seit 1982 ist der Fang von Stören verboten. 1990 wurden erste Versuche unternommen, in Forschungseinrichtungen geschlüpfte Jungstöre auszusetzen, um den Bestand langsam wieder aufzubauen. Ob das gelingt, ist nicht sicher, denn auch wenn die Befischung verboten ist, haben sich die Lebensbedingungen der Störe nachhaltig negativ verändert, vor allem, weil ein großer Teil  der früheren Laichgründe durch Ausbaggerung vernichtet worden ist.

Inzwischen hat man Verfahren entwickelt, die es ermöglichen, Störe in Zuchtstationen zu halten und sie auch zur Ablage von Eiern zu bringen. Ein Teil des so erzeugten Nachwuchses wird bis zu einer gewissen Größe aufgezogen und dann in der Gironde freigelassen. In anderen Betrieben werden die Fische bis zu dem Alter gehalten, in dem sie Kaviar  liefern können. Die dabei gewonnenen Mengen bleiben aber weit hinter den Ergebnissen zurück, die in der Blütezeit der Störfischerei in der Gironde erreicht wurden, aber es gibt ihn noch, den Kaviar aus Frankreich, auch wenn die derzeit aktiven Zuchtbetriebe nicht direkt an der Gironde liegen. Ob jemals wieder wild lebende Störe in so großer Zahl existieren werden, dass das Fangverbot in der Gironde aufgehoben werden kann, ist jedoch mehr als fraglich.

 

Vgl. dazu: https://inventaire.poitou-charentes.fr/operations/estuaire-de-la-gironde/47-publications/317-publication-la-peche-a-l-esturgeon-et-le-caviar-de-l-estuaire-de-la-gironde-2012

Und: Cocula, A.-M. /Audinet, E. L’Estuaire de La Gironde, Éditions Confluences 2018, p. 104 f.