Royan 1819
Royan – das erste Seebad an der Gironde
Wer heute sommertags an den Stränden der Atlantikküste vorbeischaut, sieht allerorten regen Bade- und Strandbetrieb. Das war nicht immer so. Erst in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts kam das auf, was heute eine regelrechte Industrie darstellt.
An der Girondemündung ist Royan der erste Ort, in dem nach 1815 zaghaft und tastend das ausprobiert wird, was später zum Aufblühen einer ganzen Kette von Badeorten führen wird. Die Anregung zum Seebaden hatten Franzosen der adeligen Oberschicht aus England mitgebracht, wohin sie durch die Wirren der Französischen Revolution nach 1789 verschlagen worden waren. Als sie nach dem Ende des revolutionären Intermezzos und nach dem Zusammenbruch des napoleonischen Kaiserreichs wieder nach Frankreich zurückkehrten, dauerte es nicht lange, bis auch in Frankreich die ersten Badeorte sich auf die Nachfrage des Publikums einstellten. Dass das an der Gironde zuerst in Royan geschah, hat eine einfache Erklärung darin, dass um 1820 von Bordeaux aus das gesamte Médoc wegen fehlender Verkehrswege nur mit großen Mühen zu erreichen war, während man per Schiff vergleichsweise einfach und zügig nach Royan gelangen konnte. Als dann 1819 das erste Dampfschiff für den Einsatz auf der Gironde gebaut wurde, dem bald weitere folgten, wurde der Verkehr von Bordeaux zur Küste weitgehend von Strömung und Wind unabhängig gemacht. So stand einem ständig zunehmenden Reiseverkehr von Bordeaux, aus dem die ersten „estivants“ durchweg kamen, nach Royan nicht mehr viel entgegen. Da die Konkurrenz auch die Fahrpreise drückte, wurde es möglich, von Samstag bis Montag erschwingliche Reisen von Bordeaux nach Royan und zurück zu machen. Diese Angebot nutzte die „artistocratie du bouchon“, das gehobene Bürgertum von Bordeaux ausgiebig. Dass Royan Zielort war, lag darin begründet, dass dort ein Hafen vorhanden war und dass es auch sonst die Grundlagen der erforderlichen Infrastruktur gab.
Der Port de la Lune in Bordeaux um 1900. Am linken Bildrand der Anleger für die Schiffe nach Blaye, Pauillac und Royan
Die Gironde-et-Garonne-No-2, ein Schaufelradampfer auf dem Weg nach Royan
Nebeneinader in Royan: der Raddampfer aus Bordeaux und links davon, die Fähre von der Pointe de Grave
Der Badebetrieb selbst war von dem der Gegenwart deutlich unterschieden. Schon 1819 konnte man in einer Zeitung lesen, es gebe in Royan Badekabinen auf Rädern, die ins Wasser gefahren wurden und es vornehmlich den Damen ermöglichten, ihre Badeverrichtungen geschützt vor neugierigen Augen zu vollziehen.
Dabei gab es aber bereits Regelungsbedarf für allzu freche Männer, die es gar wagten, unbekleidet ins Wasser zu steigen und damit zu zeigen, das sie die Grenzen der zeitgenössischen Schicklichkeit nicht respektierten. Aus diesem Grund erließ der Bürgermeister von Royan im Juli 1819 eine erste Badeordnung, die vorschrieb, dass Nacktbader den dem bürgerlich-gesitteten Publikum vorbehaltenen Stränden mindestens 500 m entfernt zu bleiben hatten. Interessant, dass nicht schlicht das Nacktbaden verboten wurde.
Der Badebetrieb selbst vollzog sich unter fast völliger Verhüllung der Körper durch Badeanzüge. Deren Charme war so begrenzt, dass ein Journalist schrieb, man sei verwundert, wenn man eine prächtig herausgeputzte attraktive Dame in eine Badekabine hineingehen sehe und das beobachte, was im Badegewand aus der Kabine herauskomme. Dann sei sie uniform grau und unattraktiv, so dass man sich frage, worin denn ihr vorheriger Reiz gelegen habe.
Das nahezu völlige Verhüllen der Körper hatte noch einen anderen Grund, denn die Damen wollten auf jeden Fall vermeiden braun zu werden. Denn dann hätte man von ihnen gedacht, sie müssten sich vielleicht ihren Lebensunterhalt gar selbst, und dies womöglich im Freien verdienen oder sie könnten sich am Ende keine Badekabine und keine ausreichend lange Badekleidung leisten.
Einerlei, das Modell Badeort in Royan war ein Erfolg, der bald Nachahmer fand, über die wir an anderer Stelle berichten werden.
(vgl. Yves Delmas, Royan 1819, la vogue des bains de mer, in: L’estuarien, no 13, Juli 2005, p. 4ff.)