Médoc 1945
Folgen des Zweiten Weltkriegs im Médoc
Obwohl das Médoc von den Kriegshandlungen des sogenannten Frankreichfeldzuges im Jahre 1940 nur indirekt betroffen war, spürten die Bewohner sehr schnell, dass eine fremde Besatzungsmacht über ihre Geschicke bestimmte, denn mit dem Waffenstillstand im Juni 1940 gehörte das Médoc zu dem Teil Frankreichs, der direkt von den Deutschen kontrolliert wurde. Die Beziehungen zwischen den deutschen Truppen und der französischen Zivilbevölkerung im Médoc waren dabei bis zum Ende des Jahres 1944 im wesentlichen kühl aber korrekt. Die Deutschen traten, von gelegentlichen Ausnahmen abgesehen, die dann allerdings von den deutschen Vorgesetzten geahndet wurden, korrekt auf. Sie zahlten für die Leistungen, die sie in Anspruch nahmen, und ließen die Zivilbevölkerung soweit das in Kriegszeiten ging, in Ruhe leben. Dort, wo sich deutsche Soldaten und die Einwohner von Soulac trafen, etwa in Cafés oder Restaurants, kam man leidlich miteinander aus. Für die meisten Einwohner von Soulac war der Krieg aber vor allem dadurch fühlbar, dass der Tourismus, der im Wirtschaftsleben des Ortes bis zum Kriegsbeginn eine gewichtige Rolle gespielt hatte, fast völlig ausfiel. Zu dem relativ spannungsfreien Zusammenleben zwischen Besatzern und Besetzten trug auch der Umstand bei, dass es in Soulac keine Juden gab, so dass der nationalsozialistische Rassenwahn im Médoc nicht direkt wahrnehmbar war.
Als die Bunker des sogenannten Atlantikwalls ab 1942 errichtet wurden, gab es sogar Arbeitsplätze, die, soweit sie nicht von Zwangsverpflichteten eingenommen wurden, gut bezahlt wurden und Beschäftigungsmöglichkeiten boten, die viele Franzosen, zwar ohne Begeisterung aber aus wirtschaftlicher Not annahmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Bautätigkeit für zivile Zwecke während des Krieges fast vollständig zum Erliegen gekommen war und dass viele der im Bausektor tätigen französischen Firmen die Aufträge, die von der Besatzungsmacht ausgingen, durchaus annahmen. Nach dem Krieg wollte man davon vielerorts nichts mehr wissen und schwieg Dinge tot, über die auch Jahrzehnte nach den Ereignissen noch nicht unbefangen gesprochen werden kann. Das gilt auch für manches, was in Zusammenhang mit der nahezu mythisch verklärten Résistance steht. Auch hier wird es noch einige Zeit brauchen, bis sich eine sachlich ausgewogene Betrachtung der Dinge durchsetzt, falls daran ein Interesse besteht.
Als im Gefolge der alliierten Landung in der Normandie im Juni 1944 die deutschen Truppen in Frankreich mehr und mehr unter Druck gerieten und zum Rückzug gezwungen wurden, zogen sie in den letzten Augusttagen 1944 auch aus Bordeaux ab. Ein Teil der deutschen Verbände wurde dabei in das Médoc dirigiert, um die deutschen Truppen in der befestigte Zone am südlichen Ende der Girondemündung zu verstärken.
Dort war im nördlichen Médoc die sogenannte Festung Gironde Süd installiert worden, die zusammen mit ihrem Gegenstück auf der nördlichen Girondeseite den Zugang nach Bordeaux verwehren sollte, dessen Hafen die Kriegsgegner Deutschlands gern als Nachschubbasis genutzt hätten. Tatsächlich ging nach der erfolgreichen Landung der Alliierten in der Normandie und nach den immer stärker von Osten heranrollenden sowjetischen Armeen der Krieg schneller zu Ende, als man auf deutscher Seite kalkuliert hatte, doch hatte das zunächst keine Konsequenzen für das nördliche Médoc. Dort richteten sich die deutschen Besatzer auf eine längere weitere Präsenz ein, die nun allerdings zu unerfreulichen Folgen für die französische Zivilbevölkerung führte, die im November 1944 gezwungen wurde, das Gebiet der von Deutschen besetzten Festung Gironde Süd zu verlassen. Der tiefere Grund für diese Maßnahme lag darin begründet, dass die deutschen Besatzer wussten, dass ihre eigene Versorgung mit Lebensmitteln nicht mehr auf geregelte Zufuhren von außen rechnen konnten und sie demzufolge danach trachteten, den Kreis der Personen, die zu ernähren waren, zu reduzieren.
Die Leidtragenden waren die Französinnen und Franzosen, die ohne ihr Zutun ihre Wohnungen und Häuser in dem Gebiet hatten, das jetzt als Festung deklariert worden war. Sie konnten zwar das von ihrer Habe mitnehmen, was sie für besonders wichtig hielten, mussten dennoch aber ihre Wohnungen und Häuser einem ungewissen Schicksal überlassen. Viele derjenigen, die gezwungen worden waren, Soulac und das Gebiet der Festung Gironde Süd zu verlassen, suchten Unterschlupf bei Familienangehörigen, Verwandten oder Freunden, wo sie dann bis in den Mai oder Juni 1945 unter oft beengten Verhältnissen ausharren mussten.
In den ersten Wochen des Bestehens der Festung Gironde Sud gab es dort keine besonderen Vorkommnisse. Die deutschen Besatzungstruppen hatten eine Vorpostenlinie eingerichtet, die von Montalivet nach Saint Vivien verlief und sich dabei soweit es ging die für die Verteidiger günstige Geländebeschaffenheit zunutze gemacht. Als dann am 14. April 1945 die französischen Verbände zum Angriff auf die Festungszone antraten, wurden durch die Kampfhandlungen große Bereiche von Talais und Saint-Vivien zerstört. Dazu kamen erhebliche Schäden durch Bombardements der alliierten Luftwaffe, die besonders Lesparre, Le Verdon, Grayan und Teile von Soulac in Mitleidenschaft zogen. Um das Vordringen der Gegner zu erschweren, durchstachen die Deutschen an mehreren Stellen die Deiche an der Gironde und setzten damit große Flächen unter Wasser. Die folgende Karte zeigt die überschwemmten Zonen und gibt mit den roten Linien den Frontverlauf während der Kämpfe um die Festung Gironde Süd an
Zit. nach: Commission Départementale de l’Information pour La Paix, Bordeaux 1985, p. 12
Als am 20. April 1945 die letzten deutschen Einheiten die Waffen streckten, war das nördliche Médoc schwer gezeichnet. Zwei Drittel der umfangreichen Waldgebiete waren zerstört und nicht mehr zu nutzen. Besonders getroffen hatte es die Gemeindewaldungen von Vendays, Soulac, Le Verdon und Grayan, wo die Wälder vor dem Krieg gewichtige Aktivposten in den kommunalen Finanzen gewesen waren. Mit dem Schicksal der Wälder eng verbunden war das, was den Wilbeständen widerfuhr, die direkt oder indirekt durch die Kampfhandlungen dramatisch reduziert worden waren.
Die Überschwemmungen der Ackerflächen an der Gironde mit Salzwasser ließen diese für eine Reihe von Jahren für den Anbau von Getreide und anderen Feldfrüchten ausfallen. Auch hier hatte die Zivilbevölkerung die Folgen des Krieges mehr oder weniger ungepuffert zu tragen. Erschwerend wirkte sich in diesem Zusammenhang aus, dass die Deutschen systematisch die Entwässerungskanäle und insbesondere die Schleusen an der Gironde unbrauchbar gemacht hatten. Fast vollständig verschwunden waren die einst beträchtlichen Bestände an Rindvieh und Pferden des nördlichen Médoc, die entweder von den Besatzern geschlachtet oder durch den erzwungenen Weggang der Bauern zerstreut worden waren. Nach dem Ende der Kampfhandlungen war von diesen Viehbeständen so gut wie nichts mehr vorhanden. Die wenigen Milchkühe, die man in Soulac noch vorgefunden hatte, wurden unter die Einwohner von Vensac aufgeteilt, um dort wenigstens notdürftig die Milchversorgung wieder in Gang zu setzen. Zusammengebrochen waren auch die Bestände der Schafe. Hatte man 1938 10.560 Schafe im nördlichen Médoc gezählt, so kam man nach der Befreiung nur noch auf kaum 3.000 Tiere. Damit waren die einst wohlhabenden Schafzüchter um Lesparre und Jau an den Rand ihrer Existenzmöglichkeiten gebracht. Die Land- und Forstwirtschaft im nördlichen Médoc war damit auf einen Stand zurückgeworfen worden, von dem aus es für Jahre nicht möglich erschien, den einstigen Stand wiederzuerlangen.
Als die im November 1944 zwangsweise ausgesiedelte Bevölkerung ab Anfang Mai 1945 nach Soulac zurückkehren konnte, bot sich ihnen vielfach ein wenig erfreuliches Bild, denn sie fanden ihre Behausungen oft nicht in dem Zustand vor, in dem sie sie verlassen hatten. Sie mussten häufig feststellen, dass sich bei ihnen Fremde Zugang verschafft hatten, die mit dem, was sie vorgefunden hatten, nicht immer pfleglich umgegangen waren und auch wohl manches mitgenommen hatten, was ihnen begehrenswert erschien. Verantwortlich dafür waren nicht die Deutschen, die in ihrem Festungsbereich untergebracht waren, sondern die französischen Verbände, die die Befreiung des nördlichen Médoc erkämpft hatten. Auch dies ist allerdings ein Kapitel, das von der historische Aufarbeitung bislang weitgehend ausgespart wurde und wo künftige Historikergenerationen noch reichlich Betätigungsmöglichkeiten finden, wenn man sie denn sucht.
Schwere Schäden hatte der Krieg auch für die Hafenanlagen in Le Verdon mit sich gebracht. Der Überseeanleger in Le Verdon, der erst Anfang der 30er Jahre in Betrieb genommen worden war, war von den Deutschen systematisch zerstört worden, so dass er nie wieder in Betrieb genommen wurde.
Zerstört worden war auch das Denkmal, das zu Ehren der Amerikaner errichtet worden war, die im Ersten Weltkrieg an der Seite Frankreichs gekämpft hatten.
Blick auf die Pointe de Grave mit dem noch stehenden Denkmal zu Ehren der Amerikaner
Unterbrochen wurde auch die Fährverbindung für Fahrzeuge zwischen den beiden Girondeufern, da die Deutschen die Fähre Le Corduan versenkt und damit für längere Zeit unbrauchbar gemacht hatten. Sie wurde zwar nach dem Ende der Kampfhandlungen gehoben und wieder in Gang gesetzt, doch fiel sie für die erste Nachkriegsjahre aus. Zuvor war mit kleineren Booten die Verbindung zwischen den beiden Girondeufern wieder aufgenommen worden, wobei jedoch keine Fahrzeuge befördert werden konnten. Der Versuch, mit einem aus dem Krieg stammenden Landungsboot den Fahrzeugverkehr zwischen Royan und Le Verdon wieder in Gang zu setzen scheiterten, weil das Landungsboot sich nicht als Fährersatz nutzen ließ.
Schwer geschädigt waren auch die Küsten, an denen während der Besatzungs- und Kriegsjahre keine Maßnahmen zur Eindämmung der Erosion durchgeführt worden waren.
Und nicht zuletzt waren entlang der Küste und im Vorfeld der Festung Gironde Süd große Mengen von Minen verlegt worden, die nur zu einem kleinen Teil unmittelbar nach dem Ende der Kampfhandlungen beseitigt worden waren.
Für die Beeinträchtigungen, die sich aus dem Vorhandensein der Minenfelder ergaben, war es nur ein schwacher Ausgleich, dass nach dem Ende des Krieges die betonierte Verbindungsstraße zurückblieb, die zusammen mit den Bunkern angelegt worden war, um deren Versorgung zu sichern. Bis zur Anlage dieser Verbindungsstraße gab es im Médoc keine küstennahe Straße in Nord- Süd-Richtung, doch war der praktische Nutzen der Betonpiste recht begrenzt, da sie einspurig war und nur durch die Anlage von regelmäßig angelegten Begegnungsstellen in beiden Fahrtrichtungen nutzbar war. Außerdem war die Streckenführung auf die Verbindung der Bunker ausgerichtet, an die Anbindung der Orte im Hinterland hatte man dabei nicht gedacht. Als nach dem Krieg die straßenmäßige Erschließung des Dünenbebreichs unternommen wurde, geschah dies unabhängig von der betonierten Verbindungsstraße, die allenfalls als Seitenstreifen neben einer neuen Straße wie etwa in Vensac Océan genutzt wurde.
Des Zentrum von Saint Vivien wengie Jahre nach dem Krieg. Die Bombenschäden sind zum Teil schon beseitigt, der Turm der Kirche ist aber noch nicht wieder aufgebaut worden.
Das Médoc war durch den Krieg, und hier insbesondere der nördliche Teil, schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Mittel für den Wiederaufbau aus staatlichen Quellen standen nur begrenzt zur Verfügung, so dass die Beseitigung der Kriegsschäden nur langsam vor sich ging, aber der zähe Durchhaltewillen der Médocains schaffte es dennoch, dem Médoc wieder ein anziehendes Aussehen zu verschaffen, bei dem an vielen Stellen für aufmerksame Betrachter noch Spuren der Dinge zu entdecken sind, die auf den Zweiten Weltkrieg zurückverweisen.
Detail des Kriegerdenkmals auf dem Marktplatz von Saint Vivien. Die Tafel erinnert an die Kämpfer der Médoc-Front und die Befreiung von Saint Vivien am 16. April 1945. An der linken Seite des Denkmals Spuren von Einschüssen
Die Mariensäule am Marktplatz von Saint Vivien im Jahr 2013. Sie hat ihre Hände während der Kämpfe im April 1945 verloren.
(UM, Februar 2018) .