Zahnpasta aus Soulac

 

Eigentlich müsste hinter der Überschrift ein Fragezeichen stehen, aber das lassen wir aus taktischen Gründen erstmal weg. Dafür zeigen wir ein Plakat, das es in sich hat.

Das Plakat stellt eine Zahnpasta vor, die, so meint man auf den ersten Blick, von den RR. PP. Bénédictins de Soulac (den Verehrungswürdigen Benediktiner-Vätern in Soulac) hergestellt wird. Auf den Papieren, in denen der Benediktiner blättert, erkennt man Pflanzen, wahrscheinlich mit heilender Wirkung, die mit der beworbenen Zahnpasta in Verbindung gebracht werden sollen. Und auf dem Papier prangt, kreisrund eingerahmt, die Jahreszahl 1373, von der man hier nicht erfährt, welche Bewandtnis es damit hat .

   

Mehr von der Geschichte dieser Zahnpasta meint man hier zu erfahren, denn diese Reklame erklärt, was es mit dem Jahr 1373 auf sich hat: das ist das Jahr, in dem ein längst verblichener Prior der Abtei von Soulac die Rezeptur erfunden hat, nach der das die Zähne schützende Produkt, das es als Elixier, als Puder und als Paste gibt, hergestellt wird. Man erfährt auch, dass Dom Maguelonne der amtierende Prior der Abtei von Soulac ist, in allerdings nicht näher detaillierter Weise mit der Zahnpasta und den flankierenden Produkten in gewichtiger, womöglich verantwortlicher Weise, zu tun hat. Für die meisten Betrachter dürfte die Gestalt im Ordensgewand am rechten Bildrand, dieser Dom Maguelonne oder doch einer seiner Ordensbrüder gewesen sein, der eine Art Reagenzglas in der Hand hält, das wohl auf den Produktionsprozess der Zahnpasta verweisen soll. Schließlich gibt die Reklame in der rechten oberen Ecke noch an, dass das beworbene Produkt 1894 und 1895 auf den Ausstellungen von Lyon und Bordeaux prämiert worden ist. In der linken unteren Ecke findet sich ein Hinweis auf die Firma Seguin in Bordeaux, die den Großhandelsvertrieb der Zahnpasta besorgt.

Diese um 1900 entstandene Postkarte hebt noch deutlicher hervor, von wem die verschiedenen Zahnpflegeprodukte stammen. Außerdem greift es in die Trickkiste und zeigt ein halb verschüttetes Klostergebäude, das eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Benediktinerkloster in Soulac hat, das allerdings erst nach der Freilegung der Basilika Notre Dame gebaut worden ist, als die Gefahr der Versandung für Soulac schon gebannt war. Dezent, aber deutlich angebracht ist auch hier der Hinweis auf die Firma Seguin, die   als Concessionnaire Fabricant genannt wird.

Auch dieses Plakat bewegt sich in der Formensprache der anderen Reklamen und innerhalb der dabei aufgebauten Vorstellungswelt, nach der Zahnpasta und die übrigen Pflegeprodukte, wie das Elixier, für das hier geworben wird, von den Benediktinern in Soulac stammten.

Nach den Präliminarien ist klar, dass hier irgendetwas nicht stimmt, und was da nicht im Lot ist, erfährt man aus einem Brief, den Bernard Maréchaux, ein Benediktinermönch und Curé aus Soulac, an die katholische Zeitung La Croix gerichtet hat, die diesen Text am 30. Mai 1890 veröffentlichte.

Da hieß es,  man habe oft Briefe erhalten, in denen gefragt worden sei, ob das Élixir dentifrice des Bédectins de Soulac im Kloster von Soulac hergestellt werde. Und einige Schreiber hätten indigniert Reklameausschnitte beigefügt, die die Grenzen der Schicklichkeit überschritten. Vor diesem Hintergrund erklärte Bernard Maréchaux,   „dass die Mönche von Soulac absolut nicht zu tun haben mit der Herstellung und der Vermarktung dieses Produkts und dass sie aufgebracht sind über die Reklame, die allzu oft von der Firma Seguin in Bordeaux verbreitet wird. Die Oberen meines Ordens haben mich aufgefordert, gegen einen solchen Missbrauch unseres Namens zu protestieren“ (La Croix, no. 2147, v. 30. Mai 1890, zit. nach Lescorce, J.-P. :, Histoire du Monastère de Soulac et de son célèbre dentifrice, LBP Éditions 2013, p. 19)


Im ersten Weltkrieg nutzte man die Möglichkeit, unliebsame Konkurrenz aus Deutschland und Österrreich-Ungarn auszuschalten, wie diese großformatige Annonce aus dem Jahr 1916 zeigt.

Aussschnitt aus der obigen Annonce. Die beiden Marken Odol (Deutschland) und Kalodont sind im Dezember 1914 bzw. im Janaur 1915 unter Sequester gestellt worden und  damit faktisch vom französischen Markt verbannt.


Nach dem Krieg (1920)  reicht schon der Hinweis „RÉLLEMENT FRANÇAIS“ offenbar aus, um die lästige ausländische Konkurrenz weiter auf Distanz zu halten.

Mit den Jahren wird der unverblümte Hinweis auf die Benediktiner in Soulac immer deutlicher hervorgehoben, obwohl die nun wirklich nichts mehr mit der Produktion und dem Vertrieb zu tun haben. Hier eine Annonce aus dem Jahre 1923

Zunächst ist die aggressive und wenig zurückhaltende Art der Reklame allerdings fortgesetzt worden. Erst in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg kehrt etwas Zurückhaltung ein, wobei allerdings nach wie vor die Beziehung zwischen den Zahnpflegeprodukten und den Benediktinermönchen unübersehbar herausgekehrt wird.


Fortsetzung dieses Trends im Jahr 1924

Und 1929 wird sowohl auf der Annonce als auch auf dem Reklameaufdruck auf dem Rand dieses Briefmarkenbogens der werbungswirksame Bezug zu den Benediktinern noch massiver herausgestellt.

 


Die nicht zuletzt von der geschickten, wenn auch im Prinzip irreführenden Werbung angestachelte Nachfrage führte zu weiterhin  guten Verkaufsergebnissen der Firma Seguin. Erst im Zweiten Weltkrieg liefen die Dinge nicht mehr wie gewohnt und schon wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Produktion eingestellt. Und damit hört auch die Präsenz der Benediktiner von Soulac in der Werbung auf.

Was die Reklameplakate nicht erzählen

Die famose Rezeptur für die Zahnpasta und die anderen Mund- und Zahnpflegeprodukte wurde tatsächlich von Dom Maguelonne an einen Apotheker namens Seguin aus Bordeaux verkauft. Details dieser Transaktion sind nicht bekannt, aber der Kaufpreis dürfte für Dom Magelonne, der dringend Geld suchte, um die weiteren Arbeiten an der Basilika von Soulac finanzieren zu können, durchaus attraktiv gewesen sein. Allerdings hat es wohl keinen sorgfältig ausgearbeiteten Vertrag gegeben, denn sonst hätte der Käufer später nicht so großzügig den Namen der Benediktiner verwenden können. Immerhin hatte Dom Maguelonne aber eine spannende Geschichte parat, mit der er die Herkunft der Rezeptur erklärte. Er habe, so behauptete er, beim Durchstöbern von Papieren der alten Abtei in Soulac Unterlagen des Abtes Boursaud aus dem 14. Jahhundert und dabei auch dessen kupfernes Siegel gefunden, was die Echtheit des Fundes nach seiner Ansicht hinreichend bestätigte. Und, so behauptete Dom Maguelonne, die Rezeptur sei ein überaus wirksamer Schutz gegen Karies. Einerlei wie es damit stand, die Zahnpflegeprodukte, die so eng mit den Benediktinern von Soualc verbunden schienen, waren eine Reihe von Jahren hindurch rechte Verkaufsschlager.

Dom Maguelonne war 1869 nach Soulac gekommen  und hatte sich dort so energisch bei der Freilegung und dem Wiederaufbau der Basilika betätigt, dass ihm Kardinal Donnet von Bordeaux gestattete,  die Benediktinerabtei in Soulac neu zu gründen, die allerdings nur bis 1888 Bestand hatte, als sie auf staatliche Anordnung geschlossen wurde. Später hat das Gebäude für eine kurze Zeit der Firma Seguin gehört, bevor es zum Kinderheim umgebaut wurde.

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Weiterführende Literatur:

Lescorce, J.-P. :, Histoire de Monastère de Soulac et de célèbre dentifrice, LBP Éditions 2013

Ders.: L’élixir des révérends-pères de Soulac, in: L’estuarien, no 46, oct. 2013, p. 13

I. de Montvert-Chaussy: Gironde : un moine vend la recette miracle d’un dentifrice du Moyen-Âge, in SUD OUEST, 21. 07. 2012