Vor 225 Jahren

 

In den Ferienregionen gehört es zum guten Ton, Gäste zuvorkommend zu behandeln, man will ja schließlich, dass sie wiederkommen. Das war freilich nicht immer so, wie ein Vorfall zeigt, der sich vor rund 225 Jahren bei Soulac ereignet hat.

Damals geriet eine amerikanische Brick, die La Mary vor Soulac in Seenot, weil sie auf der tückischen Sandbank der banc des Olives festsaß. Als das Schiff schwere Schlagseite bekam, ruderten der Kapitän und die drei Passagiere des Seglers an Land, was auch gelang, während der erste Offizier und die zehn Besatzungsmitglieder des Seglers eigentlich die Ladung des in Seenot geratenen Schiffs sichern sollten. Das schafften sie jedoch nicht, weil eine unkontrollierbar große Menge von Einwohnern von Soulac ungeniert und konsequent sich Teile der an Land gespülten Ladung anzueignen suchten, wobei es nicht beim Versuch blieb.

Der Berichterstatter über diese Ereignisse, der spätere amerikanische Konsul William Lee macht kein Hehl daraus, dass ihn das Verhalten der Einwohner von Soulac empörte. Gleichwohl beschreibt er, unter welch ärmlichen Bedingungen die Menschen in Soulac am Ende des 18. Jahrhunderts lebten und zeigt ein gewisses Maß an Verständnis für deren Versuche, ihre Existenz etwas aufzubessern, auch wenn dies zu Lasten von Schiffbrüchigen geht. Nach seinen Wahrnehmungen haben mehr als 400 Menschen, Männer, Frauen, Kinder sich an den Plünderungen beteiligt und so ziemlich alles weggeschleppt, was auf dem havarierten Schiff zu finden war, einschließlich der privaten Besitztümer der Besatzung. Insgesamt, so schätzt Lee sind den Plünderern Güter im Wert von 3000 Pfund in die Hände gefallen, mithin ein Gesamtwert, der zwar schwer in Kaufkraft der Gegenwart umzurechnen ist, für die damalige Zeit aber veritables Vermögen darstellte.

(Is. de Montvert-Chaussy : Le voyage houleux d’un consul américain, in : SUD OUEST, 8. Aug. 2011)

 

 

Das, was die Bewohner von Soulac bei der Havarie der La Mary gezeigt haben, scheint an der Küste des Médoc aber wohl kein einmaliges Fehlverhalten gewesen zu sein. Bis zum Aufkommen der Dampfschiffe haben bis weit in das 19. Jahrhundert hinein zahlreiche Schiffbrüche sich vor den Küsten des Médoc ereignet, an denen nicht nur die Naturgewalten Schuld trugen. So wird berichtet, man habe bei Nacht Kühe durch die Dünen direkt an der Küste getrieben, an deren einem Horn eine Laterne befestigt gewesen sei, die von weitem für die Positionslichter eines sich auf dem Wasser wiegenden Schiffs genommen worden seien. Wenn ein von See kommendes Schiff sich dem vermeintlichen Schiff in der Annahme nähert, dass an der Position des Lichts noch genügend Wassertiefe bestand, dann war sein Schicksal so gut wie besiegelt und die Küstenbewohner hatten wieder Gelegenhei, Beute auf Kosten anderer zu machen.

(vgl. dazu Dufour, Jean: Montalivet, Queyrac 2007, S. 58f.)