Entschlüsselungsdienst

Entschlüsselungsdienst

Es gibt in allen Sprachen Begriffe und Sachverhalte, die zwar an sich klar und verständlich sind, dabei aber oft für Außenstehende ihre Bedeutung nicht sofort preisgeben.

Ein Beispiel aus dem amerikanischen Englisch ist allen geläufig: das Pentagon. Ursprünglich bedeutet dieses aus dem Griechischen stammende Wort ein Fünfeck und nichts weiter. In den USA versteht man darunter allerdings zuerst das Verteidigungsministerium, das sich erlaubt, in einem Gebäude zu residieren, das die Form eines regelmäßigen Fünfecks hat, ein Pentagon also.

Ähnliches gibt es auch im Französischen, und wir wollen uns in dieser Rubrik als Entschlüsselungsdienst betätigen, wobei wir klein anfangen, dabei aber davon ausgehen, dass Fortsetzungen folgen.

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mettre la clé sous la porte – sang- und klanglos verschwinden; einen (kleinen) Betrieb still und heimlich dicht machen, schließen

Der Ausdruck entstand schon im 15. Jahrhundert. Er wurde ursprünglich verwendet für Mieter, die sich, ohne ihre Miete zu zahlen, aus dem Stab machten, allerdings den Schlüssel zurückließen und den unten an der Tür, z.B. unter dem Abtreter ablegten. Später hat sich die Wendung dann übertragen auf vorwiegend kleine Geschäftsleute, die ihren Betrieb aufgeben, zumeist ohne das laut zu vermelden.

Se mettre sur son 31 – seine beste Garderobe anziehen. Ganz genau weiß niemand, woher dieser Ausdruck stammt. Es gibt mehrere Deutungsangebote:

–        das erste hat mit dem alten Preußen zu tun, in dem Soldaten in Monaten, die 31 Tage hatten, einen Zuschlag zum Sold bekamen. Den gab es jedoch nicht umsonst, sondern erst nach einer Inspektion der Spinde der Soldaten, für die alles auf Hochglanz gebracht werden musste.

–        der zweite Erklärungsversuch nimmt eine Deformation des Begriffs trentain, einen kostbaren Stoff, zu trente et un (31) an. Dann hieße der Ausdruck, dass man sich in ein besonders kostspieliges Tuch kleidete.

–        Der dritte Deutungsversuch hat mit einem Jesuitenfesttag zu tun, der am 31. Juli begangen wurde, dem Namensfest des Ordensgründers Ignatius von Loyala. An diesem Tage bekamen die Novizen eine neue Soutane.

So wird’s gemacht, wenn man nichts Genaues weiß. Aber unterhaltsam ist es schon, oder?

(UM, 9. Sept. 2015)

un château en Espagne – ein Schloss in Spanien. Es ist denkbar, dass tatsächlich von einem Schloss gesprochen wird, das in Spanien liegt. Das ist aber nur dann anzunehmen, wenn der Kontext, etwa in einem Reiseführer, eindeutig ist. Meist und überwiegend ist ein Château en Espagne, etwas, was meist ganz weit weg liegt, eigentlich außerhalb der Grenze des Erreichbaren wie im Deutschen ein Luft- oder Mondschloss.

 

Le pays de Oui-Oui – hier wird nicht an ein Land gedacht, im dem nur Ja-Sager wohnen, sondern ein Kinderbuch aufgenommen, das Enyd Blyton 1934 veröffentlicht hat, in dem eine Kunstfigur mit Namen Noddy, der immer zustimmend mit dem Kopf nickt und in einer Spielzeugwelt lebt, die Hauptfigur abgibt. 1962 erschien eine französische Version, und in der heißt die Hauptperson Oui-Oui. Dann ist klar: wer im Land von Oui-Oui lebt, tut das in einer Kunstwelt, die mit der realen nicht viel zu tun hat.

Place Beauveau, Platz im 8. Arrondissement von Paris, seit 1861 Sitz des französischen Innenministers. Wenn die Place Beauveau irgendetwas verlautbart, hört man also nicht die Stimmen eines städtischen Platzes, sondern das französische Innenministerium

Le blues – eigentlich ein Tanz, der auf die farbigen Sklaven in Nordamerika zurückgeht. Im Französischen verbindet sich damit Schwermut und Melancholie, folglich meinen die Ausdrücke avoir le blues – eine schwermütige, depressive Phase durchleben und un coup de blues – einen Tiefpunkt erleben,

 

quinquennat – eine Amtsdauer von fünf Jahren, wenn kein Zusatz gemacht wird, ist in der Regel die Amtszeit des Präsidenten der Republik, oft auch indirekt der Präsident selbst damit gemeint.

 

Le der des der – was so aussieht, als ob sich eine Abfolge deutscher Wörter ins Französische verirrt hätte, bekommt ein anderes Aussehen, wenn man die Abkürzung, um die es sich hier handelt, auflöst: le dernier des derniers– der Letzte der Letzten, der Allerletzte also

La boulette – eigentlich eine Boulette oder etwas, was damit Ähnlichkeit hat, essbar also. Daneben gibt es eine spezielle Bedeutung, die sich aus dem Kontext ergibt und dann heißt: faire une boulette: einen großen Fehler machen, einen Bock schießen

 

arrosé, -ée – abgeleitet von dem Verb arroser – begießen, besprengen, bewässern. Wenn es mit dem Zusatz bien, also, kräftig, stark, einherkommt, meint es meist, dass es sich um ein Ereignis handelt, bei dem Alkoholisches geflossen ist, reichlich. Une soirée bien arrosée ist also in der Regel ein Besäufnis.

La ville rose – Toulouse, so genannt wegen der im Stadtbild reichlich vertretenen warmen Farbtöne, die  den häufig verwendeten Ziegelsteinen zu verdanken sind.

 

ivre, virgule – im Zeitungsjargon verwendet zur Bezeichnung einer bestimmten Textsorte, bei der es um Trunkenheitstaten geht. Die Berichte über solche Dinge beginnen oft mit dem Wort „ivre“ (betrunken), gefolgt von einem Komma, und dann es geht es  zum alkoholiserten Sachverhalt. Ein texte ivre, virgule stellt also eine Trunkenheitstat dar, die meist für die Betroffenen alles andere als amüsant ist.

 

acronyme –  Akronym, ein  aus dem Griechischen entliehenes Wortgebilde, das ein Kurzwort bezeichnet, das aus den Anfangsbuchstaben anderer Wörter zusammengezogen wird. Akronyme gibt es in nahezu allen Sprachen, und manche davon sind so selbstverständlich geworden, dass kaum noch jemand an die Entstehung denkt (NATO für North Atlantic Treaty Organization, oder UFO für Unidentifiziertes fliegendes Objekt/ Unidentified flying object, oder Ovni – objet volant non identifié oder Haribo für den Süßwarenhersteller Hans Riegel aus Bonn)

 

 

La quenelle – eigentlich eine Art länglicher, etwas weicher Boulette; seit geraumer Zeit aber, durch den umstrittenen Humoristen Dieudonné eingeführt, eine Geste, – linke Hand auf gestrecktem rechten, nach unten zeigendem Arm – die von im selbst als eine Art Absage an das bestehende System verstanden werden soll, von den meisten jedoch als ein verkappter Nazigruss mit rassistischer und antisemitischer Aussage aufgefasst wird.

Le Quai d’Orsay – eigentlich eine Bezeichnung für eine Straße am Ufer der Seine in Paris. Da dort aber das französische Außenministerium untergebracht ist, ist klar, was gemeint ist, wenn der Quai d’Orsay dieses oder jenes kundtut.

 

Bercy – steht für das französische Finanzministerium, das im Quartier de Bercy, im 12. Arrondissement von Paris residiert. Verlautbarungen, die aus Bercy kommen, stammen also aus dem Finanzministerium und kosten meistens Geld, das die Steuerzahler nur ungern herausrücken.

 

Le Phocéen, les Phocéens – eigentlich die Einwohner der ehemals von Griechen besiedelten Stadt Phokäa in Kleinasien (heute Foça, eine Kleinstadt in der türkischen Provinz Izmir), die einst weite Seereisen bis in das westliche Mittelmeer unternahmen und dabei auch Massalia, das heutige Marseille gründeten (um 600 v. Chr.). Als Spätfolge dieser Gründung hört man heute gelegentlich, dass die Bewohner von Marseille als Phocéens angesprochen werden, ein Brauch, der besonders dann beliebt ist, wenn von Fußballspielern aus Marseille die Rede ist.

L’Élysée – eigentlich zu ergänzen: le Palais de l’Élysée, ein Palais mit interessanter und wechselvoller Geschichte in Paris in der Nähe der Champs Élysées, heute der Amtssitz des französischen Staatspräsidenten. Demzufolge sind Verlautbarungen aus dem Élysée-(Palast) immer solche, hinter denen der Präsident steht.

 

Le Matignon – eigentlich zu ergänzen: Le Palais Matignon, ein Palais in Paris, in dem der jeweilige Premierminister Frankreichs residiert. Wenn Matignon spricht, ist klar, wen man hört.

 

l’hémicycle (m.) : eigentlich  der Halbkreis, im Journalistenfranzösisch : die Nationalversammlung, in der die Sitzränge der Abgeordneten halbkreisförmig angeordnet sind.

 

l’hexagone (m.) : eigentlich das Sechseck, in den Medien gern und oft verwendete Bezeichnung für Frankreich, weil die geographische Gestalt des Landes mit Wohlwollen einem Sechseck ähnelt.

 

le pontife (m.) : eigentlich der höchste Priester im alten Rom, im übertragenen Sinn und bei aktuellen Kontexten heutzutage der Papst