Eisenbahnen im Médoc

 

1) Die Linie Bordeaux – Le Verdon – Pointe de Grave

Das Médoc ist auch heute noch keine der Regionen Frankreichs, die sonderlich gut verkehrsmäßig erschlossen sind. Das war im 19. Jahrhundert noch ausgeprägter, als nur wenige ganzjährig mit Fuhrwerken befahrbare Verbindungen mit straßenähnlichem Charakter bestanden, die jedoch den nur punktuell besiedelten Streifen im Bereich der Dünen am Atlatik weitegehend aussparten. Es ist daher gut zu verstehen, dass schon früh Pläne aufkamen, eine Eisenbahnlinie in das Médoc zu bauen. Erste konkrete Planungen wurden 1852 laut, als das Projekt entstand, eine Eisenbahnlinie von Bordeaux nach Le Verdon zu errchten. Ihr Steckenverlauf orientierte sich an dem zu erwartenden Passagier- und Frachtaufkommen, das vor allem in der Zone, die durch den Weinanbau prosperierte, als günstig eingeschätzt wurde.

Dieser erste Anlauf blieb jedoch ergebnislos, weil es nicht gelang, das erforderliche Kapital zusammenzubringen. 1857 wurde zwar eine Konzession für die geplante Strecke ausgestellt, doch wurde diese 1861 aufgekündigt, weil nichts geschehen war, was erwarten ließ, dass die Verbindung wirklich zustande käme. Erst 1863 gelang es, die Compagnie du Chemin de fer du Médoc zu etablieren, die aber dauernd unter finanziellen Problemen zu leiden hatte. Sichtbarstes Zeichen dieser Schwierigkeiten war das langsame Voranschreiten des Streckenbaus, der erst 1870 bis Pauillac vorankam.

Der Bahnhof Bordeaux Saint-Louis, an dem die Bahnstrecke in das Médoc startete.

Mit der Ankunft in Pauillac waren erst 47 km der Strecke fertiggestellt. Die noch fehlenden 64 km bis Le Verdon folgten dann relativ zügig bis 1875.

Le Verdon war die vorläufige Endstation der Linie, doch wurde von dort aus eine Schmalspurbahn zur Pointe de Grave gebaut, die mit pferdebespannten Wägelchen betrieben wurde.

Ausschnitt aus einer Karte von 1888. Der schmalspurige Streckenabschnitt zwischen Le Verdon und der Pointe de Grave, der zunächst als Pferdebahn betrieben wurde, ist hier als Tram eingezeichnet.

Seit der Ankunft der Bahn an der Pointe de Grave gab es eine regelmäßige Schiffsverbindung zum Übersetzen nach Royan, die nach Ankunft der Züge an der Pointe de Grave abging. Von der Ankunft an der Pointe de Grave bis zum Eintreffen in Royan verging etwa eine Stunde. In den Sommermonaten wurde diese Verbindung, die keine Fahrzeuge befördern konnte, mehrfach täglich befahren. Vor der Verlängerung der normalspurigen Strecke von Le Verdon zur Pointe de Grave wurden die letzten Kilometer in einer schmalspurigen Pferdebahn zurückgelegt.

Die Pferbebahnlinie hatte jedoch keinen langen Bestand, sie wurde 1893 von hohen Sturmfluten zerstört und danach nicht wieder aufgebaut. Erst 1902 wurde die normalspurige Bahnlinie von Le Verdon fortgeführt bis zum Port Bloc an der Pointe de Grave.

Die finanzielle Ausstattung der Bahnlinie war immer recht dürftig, so dass man das rollende Material meist nur aus zweiter Hand kaufte, was naturgemäß den Betriebsabläufen und dem Komfort nicht förderlich war.


Der Endbahnhof der Stichbahn von Margaux nach Castelnau

Trotz der finanziellen Engpässe erweiterte die Compagnie du Médoc ihr Streckennetz. 1884 wurde eine Stichbahn von Margaux nach Castelnau in Betrieb genommen. 1893 wurde eine weitere Stichbahn zum Anleger von Trompeloup bei Pauillac gebaut.

Eine Stichbahn nach Lamarque kam über die Planung nicht weit hinaus. Zwar wurden Gebäude für den einstigen Betrieb dieser kurzen Strecke errichtet, doch erfolgte der eigentliche Streckenbau nicht mehr.

Die Bahnlinie in das Médoc war zunächst nicht mit dem französischen Bahnnetz verbunden. Sie startete in Bordeaux am Bahnhof Saint-Louis, der erst im März 1892 einen Anschluss an die innerstädtische Verbindung von den Bassins à flot zum Bahnhof Saint-Jean bekam. Erst von dieser Zeit an konnten Güter ohne Umladung von jedem beliebigen Ausgangsbahnhof in das Médoc transportiert werden.

1912 wurde die Compagnie du Médoc aufgekauft von der Compagnie du Midi. Bald darauf, im Jahre 1917 wurde die Linie in das Médoc angeschlossen an die Umgehungsbahn, die von Bordeaux-Saint-Jean über Talence, Mérignac und Caudéran führt.

1933 wurde in Le Verdon ein Anleger für Überseeschiffe gebaut, der direkt an das Bahnnetz angeschlossen wurde. Diese für die damalige Zeit großzügige Anlage galt als technische Meisterleistung, die eine große Zukunft zu haben schien. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges haben über 100 ozeangehende Schiffe dort angelegt und viele Passagiere sowie Post aufgenommen, die mit der Bahn angekommen waren. 1944 haben die deutschen Besatzer den Anleger gesprengt, der nicht wieder aufgebaut wurde. .

1934 wurde die gesamte Strecke elektrifiziert. Man verwendete 1,5 KV Gleichstrom. Im Jahre 1938 wurde die französischen Bahngesellschaften verstaatlicht und damit die SNCF gegründet, die dabei auch die Verfügung über die Verbindung in das Médoc erhielt. Direkte Auswirkungen auf den Betrieb dieser Linie hatte das nicht, wenn man von einer  Nachtzugverbindung von Paris-Austerlitz zur Pointe de Grave absieht, die bis 1990 bestand.

Nach 2000 ist die gesamte Strecke generalüberholt und weitgehend neu aufgebaut worden. Danach wurden die zulässigen Höchstgeschwindigkeiten, insbesondere für Güterzüge erheblich angehoben. Die Erwartung, dass ein vermehrtes Frachtaufkommen die Rentabilität der Strecke erhöhen würde, hat sich bis jetzt jedoch nicht als zutreffend erweisen. Daran Schuld ist vornehmlich der Umstand, dass der Tiefwasserhafen von Le Verdon, der eigentlich gute Voraussetzungen für den Umschlag von Containern bietet, in einem beklagenswert heruntergewirtschafteten Zustand belassen wird. Über längere Zeit war keiner der Portalkräne betriebsbereit, und demzufolge entfiel naturgemäß der Umschlag, für den er eigentlich bestimmt ist. Nachdem zwei gebraucht gekaufte betriebsfähige Portalkräne in Le Verdon errichtet woden waren, schloß der  Autonome Hafen von Bordeaux, der Eigentümer der Anlagen von Le Verdon ist, Verträge mit einem neuen Betreiber, um die Containeverladung wieder in Gang zu bringen. Daraus wurde jedoch nichts, unter anderem weil es nicht gelang, die Docker, die während der Stillegung der Anlage in Le Verdon nach Bordeaux versetzt worden waren, zur Rückkehr in die Nordspitze des Médoc zu bewegen.


Eine Karte aus dem Jahre 1888, die die damals bestehenden Bahnstrecken als dickere schwarze Linien darstellt. Ausschnitte zu den kleineren Strecken und Stichbahnen weiter unten.


Abfahrbereiter Zug in Bordeaux Saint-Louis


Blick auf den Anleger in Pauillac-Trompeloup mit Gleisen

 

Der ehemalige Bahnhof von Saint Vivien


Der Bahnhof von Soulac von der Straßenseite aus gesehen

Reklameplakat der Chemin de fer du Médoc, die bis 1911 die Linie Bordeaux-Le Verdon betrieben hat. Die Fahrzeit, die hier angekündigt wird (1h 50) von Bordeaux aus, zeigt, wie gering der Fortschritt im Eisenbahnverkehr im Médoc ausgefallen ist. 2013 braucht ein Zug von Bordeaux 1h 53, allerdings muss berücksichtigt werden, dass die Züge heutzutage einen etwas weiteren Weg haben, denn sie starten in der Gare Saint-Jean in Bordeaux, während um 1900 der Startbahnhof Bordeaux Saint-Louis war.

Bahnhof von Le Verdon. Links der Zug, der von Bordeaux kam, rechts davon die Wägelchen der schmalspurigen Pferdebahn zur Pointe de Grave

Ein Zug mit Doppelstockwagen im  Bahnhof von Le Verdon

Endstation der Pferdebahn an der Pointe de Grave. Möglichkeit zum Übersetzen nach Royan. Man sieht den Fahrzeugen an, dass bei ihrer Konstruktion wenig Aufwand getrieben worden war. Die einzige Annehmlichkeit, die sie boten, bestand darin, dass man nicht laufen musste.


Die 1933 eröffnete Landungsbrücke in Le Verdon

 


Die  Linienführung der Bahn an der Pointe de Grave nach dem Zweiten Weltkrieg

 

Der Bahnhof von Le Verdon im Jahre 2013, nicht gerade ein Vorzeigeobjekt der SNCF

2) Nebenstrecken und Stichbahnen

a) Facture – Lesparre

Die Linie von Facture (wenige km östlich vom Bassin von Arcachon) nach Lesparre wurde 1884 in zwei Abschnitten eröffnet. Die Strecke war 90,4 km lang. Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg immer weniger befahren und schließlich eingestellt. 1954 wurde der Abschnitt von Naujac nach Lesparre stillgelegt. 1978 war Betriebsschluss auf dem südlichen Teil der Strecke. Inzwischen sind die Gleisanlagen abgebaut. Auf einem Teil ist ein Radweg angelegt worden

b) Margaux – Castelnau – Sainte Hélène

Die 9 km lange Strecke wurde von Margaux zunächst bis Castelnau gebaut und 1910 um 11 km bis Sainte-Hélène verlängert. Die Bahnlinie stand unter keinem guten wirtschaftlichen Stern. Sie wurde schon 1933 eingestellt.

c) Bordeaux – Lacanau

Diese Strecke  wurde 1885 zunächst bis Lacanau-ville geführt. Sie war 48 km lang. Am 1. Januar 1905 wurde die Verlängerung nach Lacanau-Océan eröffnet. Am 4. Oktober 1954 wurde der Personenverkehr auf dieser Strecke eingestellt. 1962 wurd der Streckenabschnitt von Lacanau-ville nach Lacanau-Océan stillgelegt, und am 10. Oktober 1978 wurde der Bahnverkehr auf der gesamten Strecke beendet.

Die Strecke von Bordeaux nach Lacanau-Ville. Die Verlängerung nach Lacanau-Océan ist nicht eingezeichnet, sie erfolgte erst 17 Jahre nach dem Druck dieser Karte.