Alltag und Arbeit

 

Mancherorts wird schnell und unbedacht von der „guten alten Zeit“ gesprochen, wenn die Jahre vor 1914 gemeint sind. In Frankreich redet man gar von der „belle époque“, doch war das Leben in jenen Tagen nur für einen kleinen Teil der damaligen Gesellschaften so angenehm, dass man später dem Verlorenen nachtrauern mochte. Für die „kleinen Leute“, den größten Teil der Menschen also, waren die Lebensbedingungen aber hart und drückend. Man arbeitete an sechs Tagen der Woche viel mehr als 48 Stunden, hatte keinen Anspruch auf Rente oder Urlaub, keinen rechtlichen Schutz gegen Entscheidungen des Arbeitgebers, keine Absicherung bei Verlust des Arbeitsplatzes, nur unzureichenden Schutz bei Krankheiten, durchweg geringe Löhne oder Gehälter, die verlangten, dass man bescheiden wohnte und beim Essen vornehmlich das verzehrte, was billig war, und es gab kaum Aussicht, auch für die Kinder nicht, aus dem sozialen Milieu, in dem man lebte, aufzusteigen.

Diese Aufzählung ließe sich noch beträchtlich verlängern, was wir jedoch nicht machen. Wir wollten nur einstimmen auf die folgenden Bilder, die den Betrachter in die Zeit vor 1914 entführen und manches zeigen, was auf den ersten Blick pittoresk erscheinen mag, dabei aber oft erst dann den Blick auf die Realitäten des damaligen Lebens eröffnet, wenn man versucht, sich in das jeweils dargestellte Milieu einzufühlen.

Die Bilder, die wir zeigen, stammen überwiegend aus dem Médoc oder angrenzenden Gebieten mit ähnlichen Lebensbedingungen, wobei wir vorwiegend auf Ansichtskarten aus unserer Sammlung zurückgreifen.

Wir ordnen dabei nach Sachgebieten, deren Abgrenzung uns zweckmäßig erschien. 

Fischerei

Hier wird in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg eine Pinasse, ein Ruderboot also, zu Wasser gebracht für einen Fischzug. Diese flachgehenden Boote wurden bei Bedarf auf den Strand gezogen. Sie brauchten keine aufwändigen Hafenanlagen, verlangten aber den Körperkräften der Fischer viel ab.

Fischer beim Sortieren der Netze. Im Hintergrund ein  Fischerboot, ein Ruderboot wie man sieht.

Fischer tragen Netze auf den Strand. Die heute verschwundene Fischerei mit Netzen von kleinen Ruderbooten aus war um 1900 an der Médoc-Küste noch verbreitet .

 

Ackerbau und Viehzucht: Landwirtschaft

Ein Schäfer, der sich, begleitet von seinem Hund, mit seinen Schafen auf den Weg macht. Heutzutage könnte er als Rentner wahrscheinlich zu Hause bleiben, aber zu der Zeit, als diese Aufnahme gemacht wurde, gab es noch keine Rente, was faktisch bedeutete, dass man bis zum Lebensende arbeiten musste.

 

Eine Gruppe von Schäfern. Sie benutzen Stelzen, was die Bewegungsmöglichkeiten in dem oft sumpfigen Gelände erleichterte. Vermutlich hat der Fotograf dafür gesorgt, dass hier drei Schäfer gleichzeitig zu sehen sind. Im täglichen Normalbetrieb wären drei Männer für eine recht kleine Herde ein Luxus gewesen, den niemand bezahlt hätte. Und auf Luxus deuten weder die Kleidung der Männer noch die Behausung am rechten Bildrand.

 

Neben Schafen wurden auch Ziegen in Herden gehalten und gehütet. Auch hier  zeigt die Behausung viel über die Lebensbedingungen der Menschen.

 

  Eine Gruppe von Schäfern, die sonst jeder für sich ihre Kreise ziehen, in Erwartung einer gemeinsamen Mahlzeit: es gibt Omelette

 

Auch Frauen hüten Vieh, allerdings wohl eher nahe bei den Behausungen, da Kinder und Haushalt versorgt werden müssen. Die Frau spinnt mit einer einfachen, aber wirksamen Vorrichtung aus Wolle Garn.

 

Das Spinnen war keine reine Frauenangelegenheit. Auch Männer besserten damit ihre sonst kärglichen Einkünfte auf

 

Auch der Schäfer rechts im Bild hat eine Nebenbeschäftigung: er strickt, während er seine Tiere im Blick hält.

 


Pflügen mit Ochsengespannen

 

 

Arbeit: Harzsammeln

Das Anzapfen der Kiefern, um deren Harz zu gewinnen, war um 1900 eine Arbeit, die vielen Bewohnern des Médoc Beschäftigung und Einkommen sicherte.

 

Hier werden verschiedene Verrichtungen gezeigt, die beim Harzsammeln wichtig waren. Am Baum rechts im Bild lehnt eine Leiter, mit der die Harzsammler eine gewisse Stammhöhe erreichen konnten, an der sie die Rinde abschälten, um das aus diesen Verletzungen der Kiefer austretende Harz in Behältnisse zu lenken, wie sie am rechten Baum zu sehen sind. Der mittlere der drei Männer präpariert gerade eine Kiefer, damit sie Harz abgibt. Der Herr links im Bild hat bestimmt nichts mit dem Harzsammeln zu tun. 
 
 

Hier hat der Fotograf wohl Regie geführt, bei der dem Harzsammler  oben auf seiner Leiter genau vorgegeben war, was er wie zu tun hatte.
 
 

Richtig idyllisch, ziemlich wahrscheinlich aber kein Abbild der realen Arbeitsabläufe.
 

Auch hier ging es dem Fotografen wohl mehr darum, verschiedene Aktivitätten des Harzsammelns auf einem Bild zu vereinigen, als die alltägliche Realität eines anstrengenden und nicht gut bezahlten Berufs darzustellen.

Und hier ist erst recht zu vermuten, dass der Fotograf eine Szene gestellt und gestaltet hat, die nur wenig Bezug zur Wirklichkeit des Harzsammelns hatte.

Auch hier ist anzunehmen, dass im wirklichen Leben wohl nur ein einziger Mann das zu tun hatte, was hier auf drei Personen verteilt wird. Immerhin lenkt das Bild aber über zu unserem nächsten Komplex.

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Köhler auf einem Meiler, in dem gerade Holzkohle gewonnen wird. Auch sie gehörten zu einer Berufsgruppe, die in der Gesellschaft nicht sonderlich angesehen war, hart arbeiten musste, dabei aber nur wenig verdiente. Erschwerend kam hinzu, dass sie miten in den Wäldern lebten und nur wenig soziale Kontakte hatten. 

Transport- und Verkehrswesen

Standardtransportmittel: zweirädrige Gefährte mit großen Rädern (vorteilhaft bei unbefestigtem Untergrund), hier bespannt mit Maultieren


Als Zugtiere wurden auch  Ochsen verwendet: stark, friedlich und anspruchslos. Auch hier große Räder.

Als Zugtiere der kleinen Leute fanden auch Hunde Verwendung